AHV 21 – so nicht!

von Gabriela Medici

Gabriela Medici ist beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB für die Rentenpolitik zuständig. ©Thomas Egli für den SGB

Mit der AHV-Abstimmung Ende September rückt die Altersvorsorge in den Fokus der öffentlichen Debatte. Dies ist dringend notwendig. Denn die Renten sind tief – und sie werden in den nächsten Monaten noch zusätzlich unter Druck kommen. Die Zahlen sind deutlich: die Hälfte aller Neurentner*innen muss mit weniger als 3500 Franken über die Runden kommen (AHV und Pensionskasse gemeinsam). Das ist knapp halb so viel wie der Medianlohn. Für Frauen ist die Situation noch prekärer, ihre Renten sind ein Drittel tiefer als jene der Männer. Diese Rentenlücke zeigt die ungleiche Verteilung der Erwerbschancen zwischen den Geschlechtern deutlich auf. Denn Frauen übernehmen mehrheitlich Arbeiten in anstrengenden, aber schlechten bezahlten Berufen wie der Reinigung und dem Verkauf, der Betreuung, der Gesundheit und der Pflege. Und es sind die Frauen, welche sich um Kinder, Enkelkinder, die alternden (Schwieger-)Eltern und kranke Angehörige kümmern. Konsequenz: Die Arbeit vieler Frauen führt heute zu unwürdig tiefen Renten.

Trotzdem sollen ausgerechnet die Frauen mit AHV 21 rund 26’000 Franken weniger Rente erhalten – auch wenn sie länger arbeiten. Ehepaare sind ebenfalls betroffen. Denn gemäss AHV-Gesetz erhalten Ehepaare maximal 150 Prozent der maximalen AHV-Rente von einer Einzelperson. Heute erhalten 60 Prozent der Paare die maximale Ehepaarrente von 3585 Franken pro Monat. Mit AHV 21 wird auch die Rentensituation Verheirateter dauerhaft verschlechtert. Paaren, welche die maximale Ehepaarrente erhalten, entgeht mit AHV 21 fast 24’000 Franken Rente. Einer Mehrheit der Ehepaare – bei denen der Mann mehr als zwei Jahre älter ist als seine Frau – wird ein gemeinsamer AHV-Bezug erschwert. Auch die nächsten Schritte werden transparent kommuniziert: Am Rentenalter von 67 Jahren für alle führe kein Weg vorbei. Obwohl heute rund die Hälfte aller Erwerbstätigen ein Jahr vor dem gesetzlichen Rentenalter nicht mehr arbeitet. Und obwohl die Wirtschaft bisher wenig tut, um Mitarbeitende über die Pensionierung hinaus zu halten.

Begründet wird die Reform mit der steigenden Lebenserwartung und der finanziellen Notlage der AHV. Doch demografische Alterung ist schon lange eine Realität. Heute kommt eine Person im Rentenalter auf drei 15- bis 64-Jährige. 1970 war das Verhältnis noch eins zu fünf. Trotzdem hat die AHV letztes Jahr mit einem Überschuss von 2.6 Milliarden Franken abgeschlossen. Dies ist möglich, weil wir nicht nur älter, sondern auch produktiver werden. Heute erarbeitet eine Beschäftigte pro Stunde durchschnittlich dreimal mehr als 1948. Gleichzeitig ist die Erwerbstätigkeit heute höher – insbesondere bei den Frauen. 1950 war nur jede dritte Schweizer Frau berufstätig. Mittlerweile sind es 80 Prozent – mit steigender Tendenz. Denn bei den jüngeren Frauen ist eine Berufstätigkeit mittlerweile selbstverständlich. Bessere Kinderbetreuungsangebote würden diese Entwicklung noch fördern. Zuletzt hat der Bund die Finanzszenarien für die AHV vor zwei Monaten angepasst – sie fallen nun im nächsten Jahrzehnt fast 16 Milliarden besser aus, als noch Anfang des Jahres vorhergesagt. Und Ende April 2022 lagen die von der AHV eingenommenen Lohnbeiträge bereits um vier Prozent höher als budgetiert. Aus diesen Gründen ist AHV 21 nicht akzeptabel. Es muss darum gehen, die Herausforderungen in der Altersvorsorge so anzupacken, dass 92 Prozent der Bevölkerung profitieren. Das geht nur über eine Stärkung der AHV, weil die grosse Mehrheit hier profitiert – und in Zeiten der Inflation vor einem Wertverlust der Renten geschützt ist.

 

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