Alte Kunst neu entdeckt

von Georg Lutz

Die Gäste sitzen an grundsoliden Eichentischen, lassen aber ihre Geschmacksknospen an der Zunge überraschen

Ein neuer Name in der Gastrobranche in Basel lässt aufhorchen. An der Schifflände 1 – für Insider in Basel der Lällekönig – eröffnete mitten in der Pandemie ein Restaurant mit dem Namen Alchemist. Das ist ungewöhnlich, hat aber Innovationspotenzial. Wir statteten der neuen Restauration einen Besuch ab, um zu erfahren, welches Konzept hinter dem Namen steht.
Um den Begriff Alchemie ranken sich viele bedeutungsschwangere Geschichten. Da ist von alten und buckligen Gestalten die Rede, die in ihren mittelalterlichen Laboren verzweifelt versuchen, künstliches Gold und andere Edelmetalle herzustellen. Nüchtern betrachtet ist die Alchemie ein Zweig der Naturphilosophie. Mit den unterschiedlichen klassischen Elementen Feuer, Wasser und Erde und Produkten wie Heilpflanzen und Kräutern waren die Hexerinnen und Hexer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Leben und das Leiden der Menschen erträglicher zu gestalten. Ab dem achtzehnten Jahrhundert setzte sich aber dann die moderne Chemie und Pharmakologie zunehmend durch. Der Alchemist geriet in die Vergessenheit.

Essen als Erlebnis
Wie passt der Name Alchemist mit einem heutigen kulinarischen Konzept an der Schifflände 1, wo einem die Basler Institution der Lällekönig seine Zunge rausstreckt, zusammen? Zunächst gibt es einen einfachen historischen Grund. Die Räumlichkeiten im Alchemist beherbergten früher eine Apotheke – die Hubersche Apotheke. Dort wurden verschiedene Wirkstoffe in unterschiedliche Aggregatzustände gebracht und vermischt. Die Alchemisten spielten historisch eine Vorreiterrolle für die Chemie. Aus diesem Grund findet man auf den Eichentischen des Restaurants Erlenmeyerkolben, Fermentationsgläser oder Pipetten. Dieser erste optische Eindruck prägt sich ein. Die Macher wollen ihren Gästen offensichtlich keine Normalität anbieten, sondern das Aussergewöhnliche in die Praxis umsetzen.

Die zentrale Grundlage ist die Kochphilosophie. Der Verantwortliche Mark Santo Tomas kommt aus der Chemie und will offensichtlich etwas bewegen. «Unsere Gäste suchen das Erlebnis und den Kochevent. Sie wollen Neues entdecken und dabei zuschauen können.» In der Küche, am Tresen und am Tisch kann man die ganze Bandbreite des ursprünglichen Kochens bewundern. Da wird geschmort, gesiedet, grilliert und frittiert. «Bei uns gibt es keine fertige Boullion. Wir kochen diese selbst», bringt Santo Tomas die Philosophie auf den Punkt. Convenience-Food ist im Alchemist offensichtlich ein Fremdwort. Die Speise- und Getränkekarte bestätigt diesen Eindruck. Die Karte ist in Überschriften wie «geerntet, sautiert, geschmort, grilliert, frittiert, gebacken, gedämpft und gesüsst» aufgeteilt.

Regional und von der Seidenstrasse
Die Produkte kommen weitgehend aus dem regionalen Rahmen. So pflegt man eine Zusammenarbeit mit einem naturnahen Hof in Bottmingen. Von dort bezieht die Küche des Alchemisten die Kräuter. Dabei geht es nicht nur um Pfefferminz oder Rosmarin, sondern auch um Nischenprodukte wie das Colakraut. Die Cola im Alchemist schmeckt aber ganz anders als eine übliche Coca-Cola aus dem Discounter. Da der lokale Rahmen bestimmend ist, findet man auf der Karte keine Mangos oder Avocados, aber beispielsweise Pfeffer, Cashew-Nüsse oder Pistazien. Der Grund liegt wieder in der Geschichte der Alchemisten. Seit den Zeiten von Marco Polo gab es auch in Europa exotische Gewürze, wenn auch in sehr kleinen Mengen. Aber die Handelsrouten der klassischen Seidenstrasse ermöglichten den Transport auch über sehr weite Strecken. Die früheren Alchemisten setzten diese Gewürze in ihre. medizinischen und kulinarischen Suchprozessen ein. Und aus diesem historischen Grund findet man im heutigen Alchemist diese exotischen Zutaten.

Wie ordnet sich dieses Konzept in die Gastrotrends ein, beispielsweise in die Molekularküche? «Der Alchemist ist nicht molekular. Das wird gerne verwechselt. Der Alchemist will selbst produzieren und die Kunden wollen etwas geniessen, was sie zu Hause nicht machen wollen oder können», betont Santo Tomas. Hier ist der Gegenpol zur molekularen Küche erkennbar. Es geht darum, das Ursprüngliche wiederzuentdecken und nicht modernste Kochtechniken einzusetzen.

Bleibt noch die Frage im Raum, auf welche Zielgruppen die Verantwortlichen setzen? In der Nähe des Les Trois Rois könnte man sehr teuer sein oder aber auch in die Fast-Food-Richtung gehen. Beide Möglichkeiten scheiden aus. Man will trotz des ungewöhnlichen kulinarischen Konzepts unterschiedlichste Zielgruppen ansprechen. Das Restaurant überrascht schon mit seinen niedrigen Preisen, die man bei dem Aufwand nicht erwartet hätte. Das liegt sicher auch an den in Tapas-Formaten präsentierten Speisen. Hier gibt es dann, was auch ganz klar beabsichtigt ist, viel weniger Foodwaste als in anderen Restaurants. Auch Ökologie hat nicht nur theoretisch Vorfahrt.

Das Zeitfenster für Investoren
Natürlich müssen sich bei solch einem Konzept auch Investoren finden, um einen Anschub zu finanzieren. Wie kommt man als Investor oder auch als Architekt darauf, hier zu investieren? Corona hat die Branche doch hart getroffen. Ist da nicht Zurückhaltung angezeigt? Eine Basler Immobilienentwicklungsfirma ist hier federführend beteiligt und begründet die finanziellen Aktivitäten so: Der Ausblick auf etwas Neues und Zukunftsträchtiges sei in dieser Kombination und an diesem Ort ein schlagendes Argument. Zudem gelte es, das richtige Zeitfenster für Investoren zu erkennen. Jetzt nach dem Abklingen der Pandemie würden die Menschen doch wieder kulinarische Genussmomente erleben wollen. Der Hunger, etwas Neues zu erleben, sei da.

Aber es gehe hier nicht um einen Trend, der nach einem Jahr vorbei ist. Nein, dieses Konzept ist nachhaltig. Die Verantwortlichen vermeiden den Begriff Trend. Dieses Restaurant verdient den Begriff «ehrlich». Das schmeckt und spürt man auch.

www.alchemistbasel.ch