Andreas Caminada und sein Küchenchef Timo Fritsche setzen in ihrem neuen Restaurant «OZ», das Anfang Juni in seine zweite Saison gestartet ist, voll auf Gemüse. Tierisches dagegen bleibt dort – abgesehen von Eiern und Milchprodukten – aussen vor. Und auch wenn es in der Bündner Version, anders als im gleichnamigen Zauberreich des Hollywoodklassikers mit Judy Garland, weder gute noch böse Hexen gibt, liegt in Fürstenau doch etwas Magisches in der Luft.
Ein Entrepreneur am Herd –
Zehn Fragen an Andreas Caminada
Mit drei Michelin-Sternen und 19 Gault- Millau-Punkten gehört Andreas Caminada (45) zu den erfolgreichsten Küchenchefs der Schweiz. Doch der Bündner Spitzenkoch ist nicht nur am Herd ein Ausnahmetalent – er besitzt auch jede Menge Unternehmergeschick und beschäftigt in diversen Sparten seines Caminada-Kosmos mittlerweile rund 150 Mitarbeiter.
GESCHÄFTSFÜHRER*IN BASEL: Herr Caminada, ein Abendessen für zwei in ihrem Drei-Sterne-Restaurant in Schloss Schauenstein sprengt locker die 1000-Franken-Schallmauer und ist damit zweifellos ein Luxusgut. Welchen persönlichen Luxus gönnen Sie sich am liebsten?
ANDREAS CAMINADA: Ehrlich gesagt spielt materieller Luxus für mich persönlich keine grosse Rolle. Das meiste Geld gebe ich für schöne Hotels und gutes Essen aus, davon hat man mehr als von einer teuren Jeans. Oder ich gönne mir ab und zu einen zeitlosen Design- oder Möbelklassiker. Auch im Betrieb lege ich grossen Wert darauf, dass alles, was wir anschaffen, ein hohes Mass an Qualität besitzt – vom Schreibpapier bis zu den Restaurantaccessoires oder der Einrichtung der Gästezimmer. Und diese Qualität hat eben ihren Preis. Das ist für mich aber kein Luxus, sondern Ausdruck meines eigenen Qualitätsanspruchs.
Tatsächlich ist aktuell ja auch überall von New Luxury die Rede …
Dafür ist Schloss Schauenstein im Grunde das perfekte Beispiel. Da geht es um Geschichte, um Patina, um Authentizität und Charakter – nicht um makellose Perfektion. Schauen Sie sich um – schon dieser Ort, die Natur, die Berge sind im Grunde genommen purer Luxus und erlauben es den Gästen, die hierherkommen, loszulassen und für ein paar Stunden den Alltag zu vergessen. Und das praktisch direkt vor der eigenen Haustür und nicht erst nach einem Zehn-Stunden-Flug irgendwo am Ende der Welt.
Ihr Restaurant geniesst als Talentschmiede mittlerweile einen ähnlich legendären Ruf wie die «Schwarzwaldstube» in Baiersbronn, wo Harald Wohlfahrt in den 1990er Jahren eine ganze Generation von Spitzenköchen geformt hat, die bis heute die neue deutsche Küche prägen. Haben Sie schon mal gezählt, wie viele Michelin-Sterne sich Ihre ehemaligen Mitarbeiter inzwischen ans Revers heften können?
Das hat man mich schon oft gefragt, aber nein, gezählt habe ich sie nie. Es dürften mittlerweile aber eine ganze Menge sein. Es geht mir aber gar nicht darum, so etwas wie eine Caminada-Schule zu etablieren. Im Gegenteil – ich möchte eher eine bestimmte Einstellung zu unserem Beruf vermitteln, die Liebe zum Detail und Leidenschaft für unser Metier. Statt später in ihrer eigenen Küche einfach die Copy-Paste-Taste zu drücken, sollen meine Mitarbeiter lernen, ihre ganz persönliche Handschrift zu entwickeln. Das macht natürlich mehr Arbeit, zeichnet einen guten Koch aber aus. Ob da am Ende dann ein Stern herauskommt, ist da völlig zweitrangig.
Apropos Nachwuchsförderung – 2015 haben Sie und Ihre Frau die «Fundaziun Uccelin», gegründet, um gezielt junge Talente im Küchen- und Servicebereich zu fördern. Warum ist Ihnen dieses Thema so wichtig?
Ja, für meine Frau und mich ist das tatsächlich eine Herzensangelegenheit, denn wir möchten etwas von dem, was wir heute an Reputation geniessen dürfen, zurückgeben. Deshalb geht es bei unserer Stiftungsarbeit auch nicht darum, Nachwuchs für unsere eigenen Betriebe heranzuziehen – dann wäre die Stiftung eher ein Feigenblatt oder Steuersparmodell –, sondern jungen, motivierten Talenten eine Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln, denn ich weiss aus eigener Erfahrung, wie schwierig der Start ins Berufsleben sein kann. Grade wenn man sich selbständig macht. Von den mittlerweile rund 45 jungen Frauen und Männern, die das Programm bisher durchlaufen haben, arbeiten deshalb auch nur zwei für uns – und auch das nur, weil sie es unbedingt wollten. Der Rest ist über die ganze Welt verteilt. Übrigens trägt jeder Gast mit zwei Franken, die wir auf den Menüpreis aufschlagen, zur Arbeit der Stiftung bei.
Den Olymp der Schweizer Gastroszene müssen Sie sich – was die Bewertungen der einschlägigen Guides angeht – zwar mit Peter Knogl in Basel und Franck Giovannini in Crissier teilen. Unternehmerisch betrachtet sind Sie aber zweifellos der rührigste Schweizer Sternekoch. Was muss man als Küchenchef und Gastgeber mitbringen, um es nicht nur kulinarisch, sondern auch wirtschaftlich ganz nach oben zu schaffen?
Ich habe mich schon mit 26 Jahren auf das Abenteuer Selbständigkeit eingelassen und meinen Betrieb in mittlerweile fast 20 Jahren Stück für Stück erweitert. Das heisst, ich musste von Anfang an schauen, dass auch die betriebswirtschaftliche Seite des Unternehmens stimmt. Nicht zuletzt, weil man auch eine Verantwortung für die Mitarbeiter und die eigene Familie hat. Am Anfang konnten wir es uns deshalb auch nicht erlauben, mit teuren Luxusprodukten zu arbeiten. Stattdessen haben wir geschaut, was wir aus einfachen, aber guten Sachen, die es in der Region gibt, machen können. Und dieser Ansatz prägt meinen Küchenstil im Grunde bis heute. Inzwischen kümmert sich um die Zahlen zum Glück allerdings meine Frau – das hält mir in vielerlei Hinsicht den Rücken frei.
Unternehmerischer Erfolg wird meist in Zahlen gemessen. Aber welche Rolle spielt Geld für Sie persönlich? Anders gefragt: Ist gutes Geld zu verdienen ausreichend Motivation, um Tag für Tag so einen Knochenjob zu machen – hinter all dem Sterneglamour steckt doch vor allem harte Arbeit?
Nein, um Geld zu verdienen, gibt es sicher attraktivere Branchen als Gastronomie und Hotellerie – wir haben sieben Jahre gebraucht, um aus den roten Zahlen zu kommen. Doch egal welche Branche: Grundlage für den Erfolg ist aus meiner Sicht immer echte Leidenschaft für das, was man jeden Tag tut. In der Gastronomie muss einem das Gastgebersein sozusagen im Blut liegen. Mich persönlich hat aber auch immer die Vielseitigkeit unseres Berufs gereizt, dass man sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen kann – und muss. Stillstand ist für mich fast unerträglich. Trotzdem sollte man schauen, dass so ein Betrieb organisch wächst, um sich nicht zu übernehmen.
Sie sind seit 2021 Markenbotschafter für Dom Pérignon, haben Partnerschaften mit Audi, dem Küchenhersteller OREA, der Schweizer Privatbank EFG oder der Luxusuhrenschmiede Hublot – um nur einige Beispiele zu nennen. Neben Ihren mittlerweile halben Dutzend Restaurants betreiben Sie ausserdem einen Cateringservice, Boutiquehotels …Wie behält man da den Überblick – haben Sie überhaupt noch Zeit für kreativen Input?
Da wird mir selbst fast schwindelig, wenn ich das höre. Aber Spass beiseite: Natürlich geht das nur, wenn man verlässliche Mitarbeiter und Partner hat, an die man das eine oder andere delegieren kann. Das ist mir am Anfang nicht immer leichtgefallen. Aber viele dieser Dinge, gerade im Brandbereich, verlangen ja auch nur punktuelle Aufmerksamkeit. Was das Menü im Schloss angeht, das wir circa alle sechs bis acht Wochen erneuern –, da bin ich immer mit dabei, denn das ist und bleibt die DNA meines Unternehmens und definiert unseren Qualitätsanspruch insgesamt. Aber wenn das neue Menü mal läuft, habe ich wieder ein paar Wochen Zeit, mich auch um andere Projekte zu kümmern – oder auch mal eine Auszeit zu nehmen.
Zum Caminada-Portfolio gehört auch ein hochwertiges Printmagazin. Darin tauchen Sie auch regelmässig als Model in Modestrecken auf. Auf den Fotos spielen Sie dabei so gekonnt mit der Kamera, als wären Sie für den Laufsteg geboren. Gibt es in der Welt des Andreas Caminada auch etwas, was er sich nicht zutraut?
Wenn Sie meine Frau fragen würden, könnte Sie Ihnen auf Anhieb sicher ein Dutzend Dinge aufzählen, die ich alles andere als perfekt beherrsche (lacht). Aber ich liebe Herausforderungen und bewege mich dabei manchmal auch schon mal deutlich ausserhalb meiner Komfortzone –- wenn auch nicht immer ganz freiwillig.
In Ihrem zuletzt eröffneten Restaurant «OZ» konzentrieren Sie und Ihr Küchenchef Timo Fritsche sich voll auf Gemüse, das Sie in Ihrem eigenen Permakulturgarten anbauen. Mal ehrlich: War das eher eine unternehmerische Entscheidung – Veggie liegt schliesslich voll im Trend – oder eine Herzensangelegenheit?
Meine Philosophie ist es nicht, Trends zu folgen, sondern sie zu setzen. So haben wir mit den IGNIV-Restaurants damals ja auch als Erste das mittlerweile allgegenwärtige Sharing-Konzept im Fine-Dining-Bereich umgesetzt. Beim «OZ» kommt dazu, dass die Zeit einfach reif ist für ein Umdenken was unseren Fleisch- und Fischkonsum angeht. Echtes Umdenken beginnt bei den meisten Menschen aber erst, wenn sie – um beim «OZ» zu bleiben – merken, wie toll ein Gericht ganz ohne Fleisch oder Fisch schmecken kann, dass das keinen Verzicht bedeutet, sondern im Gegenteil sogar den Genuss steigern kann und ganz neue kulinarische Horizonte eröffnet. Und genau diese Erfahrung macht das «OZ» möglich.
Ihr neuestes Projekt liegt auf dem Thurgauer Mammertsberg unweit des Bodensees, wo Sie im Frühherbst ein neues Restaurant eröffnen werden. Was macht diesen Ort so besonders, und auf was können sich Ihre Gäste freuen?
Es ist vor allem die gelungene Verbindung eines historischen Fachwerkgebäudes mit einem sehr modernen, fast kubistischen Anbau, die mich neben der herrlichen Lage auf Anhieb fasziniert hat. Gemeinsam mit einem skandinavischen Designteam haben wir ausserdem das Interieur komplett umgestaltet und an unsere Ansprüche angepasst. Mit Silvio Germann – der bei dem Projekt auch mein Partner ist – vertraue ich die Küche dort einem meiner engsten Mitarbeiter an, der damit nach sieben Jahren als Küchenchef im «IGNIV Bad Ragaz» nun sein ganzes Talent entfalten kann.