«Beizensterben» auf dem Land – oder eher Geburten neuer Konzepte?

Könnt ihr Euch an den Geschmack und die Töne mit den lachenden und diskutierenden Männern (ja, es waren meistens Männer) am Stammtisch erinnern, wenn man um 17:30 Uhr eine Beiz auf dem Land betrat? Später dann an einem weiteren Tisch der Turnverein, der Gemeinderat und die Damenriege. Im «Sääli» noch das laute Gelächter der Jagdgesellschaft. Wenn man früher um 18 Uhr auf dem Land in eine Beiz kam, waren die Tische voll. Es wurden Stangen und Rugeli getrunken. Es wurde gejasst, gelacht.

So war es doch noch vor 20 Jahren an einem Donnerstagabend in vielen Beizen auf dem Land. Heute, 20 bis 30 Jahre später, wo Ost und West so weit voneinander entfernt sind wie lange nicht mehr, ist an vielen Orten Ruhe an den Stammtischen eingekehrt. Den Aschenbechern sind die Handyladestationen gewichen. Politik wird heute in den sozialen Medien anstatt am Stammtisch gemacht. Den «Gemeindepräsi» kennen alle über die Dorfgrenze hinaus, doch nicht von den «Stammtisch-Voten» zum Beispiel vom Dienstagabend, sondern von seinem letzten Post auf LinkedIn. Meistens wartet der Wirt alleine, bis die Gäste zum Abendessen kommen, und die Vereine sind auch weniger geworden. Der traditionelle Stammtisch von früher ist heute der Apéro in der angesagtesten Stadtbar – oder vielleicht die Umkleidekabine im hippen Fitnesszentrum in der Agglomeration.

Die Gesellschaft hat sich gewandelt und so haben auch die Beizen auf dem Land neue Herausforderungen oder gar Daseinszweifel. Wo geht die Reise hin? Gibt es das Modell Landgasthof oder Dorfbeiz in zehn Jahren überhaupt noch? Was möchten die Gäste heute? Gibt es nicht doch irgendwo ein Bedürfnis, sich auszutauschen? Braucht es dazu in jedem Dorf eine Beiz? Was sind Modelle, die funktionieren könnten? Bewegen müssen sich alle. Die Gastronomie wird sich auf dem Land nochmals wandeln. Doch wie?
All diesen Fragen müssen wir nachgehen, wenn wir die Gastronomie auf dem Land am Leben erhalten möchten. Ich bin jedoch überzeugt, es wird trotzdem eine Branche mit Zukunft sein, wenn auch vielleicht nicht mehr am Stammtisch wie vor 30 Jahren. Aber vielleicht abends an der langen Tafel in einer Halle, wo am Nachmittag Haare geschnitten werden. Oder man könnte im Sääli einen Co-Working-Raum einrichten – für alle, die auf dem Land einsam im Homeoffice sitzen und gerne andere sehen. Oder einen Mittagstisch für Schüler oder ältere Menschen. Alles vielleicht «crazy» Vorstellungen, ich weiss. Doch wer hätte vor 20 Jahren gedacht, dass mit dem Handy zu bezahlen sogar in der Beiz normal geworden ist und wir vorher unser Essen fotografieren und es der Tochter ans andere Ende der Welt senden …

Eine Dorfbeiz braucht es nicht nur für Beerdigungen und Konfirmationen, sie dient als öffentlicher Ort, als eine Art öffentliche Stube oder sozialer Knotenpunkt – eine moderne Begegnungsstätte. Sie soll Tradition und Innovation verbinden, vielleicht eine Brücke zwischen Stadt und Land sein. Doch vor allem soll sie auch die regionale Gemeinschaft stärken. Dazu braucht es aber wie für so vieles Gemeinschaftliches alle, die mithelfen und Teil davon sind. Der Wandel der Dorfbeiz ist somit vielleicht auch das neue Abbild der hiesigen Bevölkerung. Je offener und toleranter man für das Neue ist, desto grösser können die Chancen für Dorfbeizen auch in Zukunft sein.

Wer weiss, wo die Reise noch hingeht. Sicher ist jedoch: Beständig ist nur der Wandel …

Fabienne Ballmer, Präsidentin von GastroBaselland