Das Auto einer anderen Galaxie

von Lone K. Halvorsen

lamborghini countach LP400.

Er sieht aus wie ein Kampfjet aus einer anderen Galaxie, der mit seinem exzessiven Temperament der ganzen Welt der Sportwagen davonfliegt.

Brutal kantig und unverhüllt aggressiv mit einem Design, das seinesgleichen sucht. Jenseits aller gängigen Vorstellungen, wie ein Auto auszusehen hat, fragt man sich in der Tat, ob man es hier mit einem Auto oder einem Raumschiff zu tun hat. Der Legende zufolge sollen die Zuschauer im Raum von Karosseriemeister Nuccio Bertone, als das erste Konzept des
Countach präsentiert wurde, begeistert «Countach!» ausgerufen haben. Der Ausruf des Erstaunens stammt aus dem piemontesischen Dialekt und bedeutet so viel wie «Wow» oder «fantastisch» und wird eigentlich von Männern beim Anblick einer schönen Frau verwendet
– wenngleich man bei einem Auto solchen Kalibers auch eine Ausnahme machen kann. Ferruccio Lamborghini zögerte nicht lange und ging zum Patentamt und zum nächsten Taufbecken, denn dies war die Taufe einer Auto-Ikone.t.

Der erbitterte Kampf gegen Ferrari
Schon als Kind begann Ferruccio Lamborghini sich für Technik zu interessieren, und während seiner Militärzeit wurde er mit der Reparatur von Einsatzfahrzeugen vertraut. Ausgemusterte Kriegsgeräte sollten später die Grundlage für seine Unternehmer-Karriere legen. Er kaufte alte Militärfahrzeuge und baute sie zu Schleppern für die Landwirtschaft
um. Es folgten Eigenentwicklungen für Traktoren und Motoren und die Gründung einer Traktorenfabrik. Der erfolgreiche Unternehmer hatte jedoch auch eine Passion für  Sportwagen – in seinem Fuhrpark befand sich auch ein Ferrari. Der Wagen bereitete ihm jedoch nicht nur Freude, und aufgrund der ständig auftretenden Kupplungsprobleme suchte er schriftlich den Kontakt zu Enzo Ferrari. Ferrari hingegen war ganz und gar nicht begeistert über den Briefvon Lamborghini, und in einem Wutanfall – so die Überlieferung –
schimpfte er herum, dass er sich nicht von einem Traktorfahrer vorschreiben lasse, wie er seine Autos zu bauen habe. «Lamborghini, du magst ja Traktoren fahren können, aber du wirst nie in der Lage sein, einen Ferrari richtig zu handhaben.» So zitierte Lamborghini den
«Commendatore» aus Maranello. «Das war der Punkt, an dem ich mich entschieden hatte, selbst das perfekte Auto zu bauen.» Als Lamborghini dann Anfang der 1960er Jahre verkündete, dass er einen Sportwagen bauen wolle, mit dem er Ferrari Konkurrenz machen
könne, glaubten einige, dass er den Verstand verloren hätte. Doch Lamborghini war von seiner Idee überzeugt, im Jahr 1963 gründetet er die «Lamborghini Automobili», und in Sant’ Agata Bolognese, etwa 25 Kilometer von Bologna entfernt, wurde eine moderne Fabrik errichtet. Für den Debütwagen gab es klare Vorstellungen – es sollte der schönste V12 weltweit werden. Der 350 GTV war bei seiner Präsentation im selbigen Jahr ein Meisterwerk, und die Geschichte von Lamborghini Automobili nahm ihren Lauf. Als kleine amüsante Anekdote ist gewiss die Tatsache zu erwähnen, dass der 350 GTV von Giotto Bizzarrini entwickelt wurde, der zuvor in Ferraris Diensten gestanden hatte. Dass aus der Traktorenwerkstatt innerhalb weniger Jahre eine der edelsten Sportwagenschmieden der Welt geworden war, wurde spätestens 1966 klar, als der Lamborghini Miura die Automobilwelt revolutionierte. Bereits Ende der 60er Jahre galt Lamborghini auf der ganzen Welt als Symbol des Exzesses, als etwas, das über die Philosophie und das Design der anderen Autobauer hinausging. Und wenn Lamborghini so etwas wie «normale» und gemässigte Autos baute, dann blieb es meist «nur ein normales » Auto ohne den erhofften Erfolg – letztlich war das Image des Unternehmens längst ein anderes als das eines herkömmlichen Autobauers.

Die Reinheit der Geometrie
Der unbestrittene König der Autosalons von 1966, der Lamborghini Miura, hatte das Konzept des Sportwagens gänzlich neu definiert, und mit dem Modell SV wurde eine definitive Version des legendären Modells hergestellt, welche beim Autosalon in Genf 1971 vorgestellt wurde. Doch die zu erwartende Aufmerksamkeit auf diesen praktisch perfekten
Sportwagen blieb aus. Die Aufmerksamkeit hatte ein noch aussergewöhnlicheres und spektakuläreres Auto auf sich gezogen – der wahre Star des ganzen Salons: der extravagante, aus der Feder von Marcello Gandini stammenden Prototyp des Lamborghini Countach. Der futuristische Wagen, welcher scheinbar aus der Zukunft entsprungen war, deklassierte jeden Sportwagen am Autosalon zu einer Familienkutsche. Die Begeisterung für den Nachfolger des Miura war enorm – ganz anders als der rassig dahinfliessende Miura wirkte der Countach wie ein kubistischer Monolith. Die Idee von Gandini war, dass ein Nachfolger als solcher nicht erkennbar sein dürfe, denn sonst würden die Vergleiche nie
aufhören. Es sollte einen Bruch in der Tradition geben, und was bis anhin als Designtrend gegolten hatte, gehörte nun in die Vergangenheit. Mit einer Höhe von 103 Zentimeter und einer Breite von 187 Zentimeter und zudem ein Konglomerat aus Kanten und Klüften mit einer flach abfallenden Linie der Front, welche fast waagerecht nach hinten verlief, um dann beim Heck plötzlich abzubrechen, wollte Gandini dem Fahrtwind nur wenig Widerstand entgegensetzen, aber parallel dazu lechzte der V12 nach Kühlluft. Hinzu kamen Klappscheinwerfer und spektakuläre Scherentüren, die schräg nach oben geöffnet wurden. Die Proportionen haben alle Vorstellungen gesprengt von dem, was einen Motor und vier Räder hat – das war der neue Stil von Lamborghini. Doch ein Problem hatte Gandini, denn Lamborghini hatte zu diesem Zeitpunkt nicht ernsthaft die Absicht, den Countach in Serie zu produzieren. Vielleicht ein paar Einzelstücke für ausgesuchte Kunden, aber gewiss nicht mehr. Doch das sollte sich ändern, denn der Countach traf den Stil der 70er Jahre auf den Punkt. Bis die Fertigung beginnen konnte, sollten jedoch drei schwierige Jahre mit einer dünnen Finanzdecke, einer Kette von Streiks im Werk und einem hektischen Entwicklungsprogramm vergehen. So wurde weiter am Countach getüftelt, und pünktlich  zur Ölkrise war der Lamborghini Countach LP400 fertig entwickelt. Lamborghini war das Timing völlig egal, denn bei solch einem Einstiegspreis dürfte der Spritpreis den Käufern auch egal sein.

Eine neue Dimension der Geschwindigkeit
Nach der optischen Radikalkur waren die Entwickler auch reichlich bemüht, mit den «inneren Werten» zu trumpfen. Nicht nur von aussen sah das Auto futuristisch aus, von innen war es noch radikaler, denn die Instrumente schienen aus einer Raumfahrtkapsel zu stammen. Das Lenkrad besass nur eine Speiche, und wie die Sitze war es auch gepolstert. Die Motorisierung bestand aus einem 12-Zylinder-Motor in einer 60-Grad-V-Stellung mit doppelten obenliegenden Nockenwellen, welcher vor der Hinterachse und – nicht wie beim Miura – längs statt quer zur Fahrtrichtung positioniert wurde. Daher auch die Bezeichnung
«LP» für Longitudinale Posteriore. Statt das Getriebe wie üblich hinter den Motor zu setzen, wurde es hier vor dem Motor platziert. Dadurch lag es zwischen den beiden Sitzen, und der Schalthebel griff somit direkt ins Getriebe. Als es im Frühjahr 1974 endlich so weit war,
feierte die Fachwelt den Geschwindigkeitsrausch vom Countach. Mit seinem 4.0-Liter-Motor, den 375 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 309 km / h war der Countach nicht nur das futuristischste, sondern auch noch das schnellste Serienauto der Welt.

Das Ende einer Legende
Entweder man liebt(e) oder man hasst(e) den Countach. Kaum ein Auto hat die Gemüter so weit auseinandergebracht und die gegensätzlichsten Ansichten so kontrovers diskutiert. Während die Gegner den Wagen als unpraktisch und vulgär bezeichneten, kamen die Fürsprecher nicht mehr aus dem Staunen heraus. Zwar möge der Wagen absurd
und gar unpraktisch sein, aber unglaublich aufregend. Tatsache ist, der Countach war ein grosser Erfolg und wurde 16 weitere Jahre lang gebaut. Die letzte Evolutionsstufe von 1988 und 1990 war das Jubiläumsmodell «Lamborghini Countach 25th Anniversary», welches zum 25-jährigen Bestehen des 1963 gegründeten Unternehmens Lamborghini Automobili
entworfen wurde. Heutzutage kann der bis zu 55kW/748 PS starke Countach zwar kräftemässig nicht in der 1000-PS-Liga mithalten, dafür bleibt der Zwölfzylinder das entscheidende Bindeglied zwischen den frühen Sportwagen der 1960er Jahre und denen des 21. Jahrhunderts. Die Langlebigkeit des Countach hätte im Jahr 1971 wohl kaum jemand für möglich gehalten, aber mit seinem martialischen Charakter prägte er das Image von Lamborghini. Wohl verdient hat der Countach den Sprung vom «Bad Boy» zur Auto-Ikone geschafft.

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