Wie kann man einen hoch entwickelten Rennwagenmotor und ein luxuriöses Automobil Miteinander kombinieren? Mit dem schönsten aller Maserati-Modelle, dem 3500 GT, gelang dem Unternehmen der Wandel vom Rennwagenproduzenten zum Hersteller von Strassenfahrzeugen.
Im Jahr 1914 gründeten die Maserati-Brüder in Bologna eine kleine Autowerkstatt und legten damit den Grundstein für die Marke Maserati, die in die Automobilgeschichte eingehen sollte. In den 1920er und 1930er Jahren verkaufte das Unternehmen weltweit Rennwagen, für den Strassenverkehr zugelassene Fahrzeuge wurden lediglich aufgrund von Einzelbestellungen hergestellt. Die drei Brüder Alfieri, Ernesto und Ettore waren technisch versiert, Mario hingegen hatte keine Ahnung von Motoren, doch besass er eine künstlerische Ader. Er bekam den Auftrag, ein Logo für die Firma zu entwerfen, und er wählte eines der Wahrzeichen der Stadt Bologna als charakteristisches Element: den Dreizack der Neptun-Statue auf der Piazza Maggiore als Symbol für Stärke und Vitalität. Das Dreizack-Logo symbolisierte für Alfieri Maserati die Stärke seiner Familiengeneration,
bestehend aus sechs Brüdern – und bis in die Gegenwart sollte dieses Logo für Autoaffine weltweit legendär bleiben. 1937 übernahm die Familie Orsi die Geschäftsleitung, und das Unternehmen zog von Bologna nach Modena – bis heute der Maserati-Hauptsitz.
Vom Rennwagen zum Strassenauto
Mitte der 1950er Jahre gab der Chef von Maserati, Omer Orsi, dem Chefingenieur Giulio Alfieri die Aufgabe, einen schnellen, zuverlässigen Gran Turismo für die Strasse zu entwerfen. Es war genau diese Strategie, die das Schicksal von Maserati verändern sollte. Der 3500 GT wurde nicht nur zu einem der schönsten Modelle von Maserati, sondern mit ihm gelang dem Unternehmen auch der Wandel vom Rennwagenproduzenten zum Hersteller von Strassenfahrzeugen. Die Bedeutung dieser Modellserie spielte für Maserati eine elementare Rolle. Womöglich würde es ohne diese zeitlosen Klassiker das Traditionsunternehmen nicht mehr geben, denn nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
stand es kurz vor dem wirtschaftlichen Ruin. Doch es war Alfieri, der die Erfolgsgeschichte mit viel Geschick in die entscheidenden Bahnen lenkte. Der 3500 GT war ein Sportwagen der Oberklasse mit einem vom Rennwagen 350S abgeleiteten Motor – jedoch für den Strassenbetrieb erheblich modifiziert. Die legendäre Eleganz gepaart mit der Sportlichkeit war bereits von Beginn an ein Markenzeichen von Maserati, und auch beim 3500 GT blieb das Unternehmen diesem Ruf treu. Mit ihm gelang den Konstrukteuren und Autobauern rund um Alfieri ein Volltreffer – 1957 wurde der feudale Gran Turismo auf dem Genfer
Autosalon präsentiert. Der Prototyp ging wegen seiner weissen Lackierung als «Dama Bianca» in die Geschichte ein – mit geringfügigen Unterschieden zu der Serienversion,
deren Produktion im selben Jahr aufgenommen wurde.
Das streben nach Innovation und Geschwindigkeit
Ende 1957 hatte Maserati sich vom Rennsport zurückgezogen. Umso wichtiger war der Erfolg des 3500 GT. Das Magazin «Automobil Revue» schrieb 1958: «Zu den Aktivposten von Maserati ist ein Automobil zu zählen, das erst vor Jahresfrist zusammengebaut wurde und nun binnen dieser relativ kurzen Zeit einen beachtlichen Reifegrad erreicht hat, nämlich der Dreieinhalb-Liter-Gran-Turismo. Dieser imponierende Sechszylinder ist ein luxuriöser zwei- bis viersitziger Wagen für schnelle Reisen.» Der elegante Sportwagen war eine Kreation der Carrozzeria Touring und wurde aus Aluminium hergestellt. Als Chassis diente ein Rohrrahmen, wie er vom Prinzip her auch bei den Rennwagen eingesetzt wurde. Klassisch waren die lange Motorhaube, die relativ kurze Fahrbehausung und der grosse Überhang hinten. Abgeleitet vom Rennsportmodell 350S war es natürlich auch hier zu
erwarten, dass der Motor zum Herzstück des Modells gehört. Das Resultat gefiel auch dem Publikum, und die «Automobil Revue» fügte hinzu: «Trotz seiner Abstammung aus einem Stall der Grand-Prix- und Rennsportfahrzeuge ist das elegante Superleggera-Coupé ein Gebrauchsfahrzeug für den Alltag. Es schaltet sich leicht, obwohl der starke 3.5-Liter-Sechszylinder – nebenbei bemerkt der grösste Serienmotor der Gegenwart – auch im direkten Gang ein unerhörtes Durchstehvermögen besitzt.» Mindestens ebenso wichtig für den Erfolg war die optische Erscheinung. Den 3500 GT gab es in den zwei Karosserievarianten Coupé und Spyder. In Genf wurden zwei Arten von Coupés präsentiert: Eine Version war von Allemano karossiert worden, die zweite von Touring in Mailand. Nach dem Ende der Ausstellung entschied sich die Unternehmensleitung für die Serienproduktion mit Touring. Ein Jahr später folgte die offene Variante, und die beiden ersten Cabrios entstanden 1958 ebenfalls bei Touring. Für die Serienproduktion der Spyder entschied sich jedoch Maserati für den Karosseriebauer Vignale, womöglich aufgrund der modernen und sportlichen Optik. Der führende Designer des renommierten Karosseriebauers Vignale, Giovanni Michelotti, verkürzte das Fahrgestell um zehn Zentimeter und schaffte durch einen geschmeidigen Hüftschwung eine Dynamik in der Seitenlinie, welche auffällig über die Hinterräder verlief. Das Fahrzeug war ein Meisterwerk der Proportion und wurde von der Presse als «rollendes Kunstwerk» beschrieben. Einige Jahre später wurden an allen vier Rädern Scheibenbremsen eingebaut – was als ein Novum im damaligen Italien galt.
Wenngleich die grösste Neuerung mit der Lucas-Benzineinspritzung einherkam, die eine Höchstgeschwindigkeit von über 220 km / h ermöglichte.
Unterwegs mit der Prominenz
Der Zustand des Strassennetzes wurde – sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht – nach dem Zweiten Weltkrieg immer hochwertiger. Wo früher die holprigen Strassen schnelles Fahren verhinderten, konnte in den 50er Jahren wieder Gas gegeben werden. Als Resultat dieser Entwicklung entstand ein neues Segment von Sportwagenkäufern, denn
Prominente, gut situierte Unternehmer und andere Erfolgreiche dürsteten nach schnellen luxuriösen Sportwagen. Diesen Trend hatte Alfieri bereits erkannt und setzte dafür die nötigen Massnahmen um, als er den 3500 GT schuf. Maserati war in jener Epoche die innovativste der norditalienischen Sportwagenmarken, und kaum ein anderes Fahrzeug hat das italienische Flair so gekonnt präsentiert. Die Prominenz griff gerne zum Maserati 3500 GT, und man kann es ihr nicht verübeln. Zu den stolzen Besitzern zählten Fürst Rainier III. von Monaco, Dean Martin, Tony Curtis, Anthony Quinn, Rennfahrer Luigi Taramazzo oder auch der mexikanische Staatspräsident Adolfo Lopez. Gerne wurde der offene Maserati auch in Filmen genutzt – so hatte der Vignale Spyder etwa Auftritte in «Love is a Ball» (1962), «La bella di Lodi» (1963) oder «La vita difficile» (1963). Als Sportwagen der Oberklasse begeisterte der 3500 GT schon damals zahlreiche Käufer, und auch heute noch sind der GT wie auch der Vignale Spyder begehrte Sammlerobjekte.