Im Frühling dieses Jahres fand die erste Behindertensession unseres Landes statt. Im Nationalratssaal versammelten sich 44 Menschen mit Behinderungen. Weshalb nur 44 Betroffene, obwohl der Nationalrat doch 200 Sitze umfasst? Die Erklärung liegt im Anteil von behinderten Menschen an der Gesamtbevölkerung begründet: In der Schweiz leben gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) rund 1.8 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das entspricht 22 Prozent unserer Bevölkerung. Das BFS definiert «Menschen mit Behinderungen» gemäss dem Behindertengleichstellungsgesetz «als Personen, die ein dauerhaftes Gesundheitsproblem haben und die bei Tätigkeiten des normalen Alltagslebens (stark oder etwas) eingeschränkt sind.»
Diese repräsentative Vertretung von Menschen mit Behinderungen verabschiedete eine Resolution, in der Politik, Behörden und Zivilgesellschaft aufgefordert werden, die politische Vertretung von behinderten Menschen zu verbessern und den Weg zu politischen Ämtern hindernisfrei zu gestalten.
Diese Forderung ist legitim – ab
gesehen davon, dass das Recht dieser Bevölkerungsgruppe auf Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben in der UNO-Behindertenrechtskonvention ausdrücklich und verbindlich verankert ist. Die Schweiz ist dieser Konvention im Jahr 2014 beigetreten und seither gehalten, sie umzusetzen und zu erfüllen.
Behindertenpolitik muss zwingend zusammen mit Menschen mit Behinderungen erfolgen. Es kann nicht sein, dass praktisch nur Nichtbetroffene über dieses Fünftel unserer Bevölkerung entscheiden. In diesem Sinne sind die Behindertenorganisationen – wie die IVB Behindertenselbsthilfe beider Basel – verpflichtet, sich politisch zu engagieren, sich einzumischen und die legitimen Anliegen ihrer behinderten Mitglieder nachhaltig zu vertreten. Vielmehr sind aber auch die weiteren gesellschaftlichen Gruppen und insbesondere die Parteien gefordert, Menschen mit Behinderungen in ihre Arbeit aktiv einzubeziehen, ihnen eine Plattform zu geben und ihre Anliegen ernst zu nehmen. So entstand im Vorfeld der diesjährigen nationalen Wahlen eine so genannte «Behindertenliste». Darauf finden sich insgesamt 35 behinderte Kandidatinnen und Kandidaten, die in zwölf Kantonen auf verschiedenen Parteilisten kandidieren. Im Kanton Basel-Landschaft waren dies erfreulicherweise drei Kandidaten, in Basel-Stadt immerhin eine Kandidatin. Bis
lang waren die Mitte-Politiker Christian Lohr (Thurgau) und Philipp Kutter (Zürich) die einzigen Nationalräte mit einer Behinderung. Ob es nach den Wahlen vom 22. Oktober mehr behinderte Vertreterinnen und Vertreter in der Bundesversammlung geben wird, war beim Schreiben dieser Zeilen nicht bekannt. Zu wün schen ist es auf alle Fälle. Und beim Erscheinen dieser Publikation wissen wir es. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt …
Am kommenden 2. Dezember findet übrigens das erste Behindertenparlament beider Basel im Grossratssaal im Basler Rathaus statt. Daran können alle Menschen mit Behinderungen unserer Region teilnehmen, die an Politik interessiert sind und ihre Anliegen
artikulieren wollen. Die stattgefundene Behindertensession und das stattfindende regionale Behindertenparlament sind wichtige Foren. Sie müssen fortgesetzt werden und stellen einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer angemessenen politischen Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen dar.