Glas kann mehr

Interview mit Miriam Schnyder von Georg Lutz

Glas löst seit Menschengedenken Faszination aus. Es ist immer wieder beeindruckend, durch Glas hindurchzuschauen. Man bewegt sich von der einen Welt in die andere und geniesst die Transparenz und Reflektionen. Glas kennt keine Grenzen und löst immer wieder faszinierende Momente aus. Lange war Glas aber religiösen Würdenträgern und feudalistischen Herrschern vorbehalten. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist Glas ein Massenprodukt, aber mit vielen Nischenmärkten, denken wir nur an Glasmöbel. Heute muss sich Glas vielen Herausforderungen stellen: Glasfronten an den Fassaden, aber auch Balkontüren werden immer grösser, die Sicherheitsanforderungen immer präziser – und auch was Nachhaltigkeit betrifft, muss Glas heute Lösungen bieten können.

Die Firma SCHNYDER Group Holding AG mit Sitz in Allschwil stellt sich diesen Herausforderungen. Gleichzeitig besteht sie aus Manufaktur und Real Estate und agiert in einem Markt, der von vielen grossen Playern geprägt ist. Das Geheimnis des Erfolgs und für das Bestehen am harten Glasmarkt sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, dies sei schon an dieser Stelle verraten. Wir führten nicht nur dazu ein Interview mit Miriam Schnyder. Sie ist Inhaberin und CEO der SCHNYDER Group Holding AG.

«Geschäftsführer»: Fangen wir mit unserer persönlichen Beziehung zu Glas an. Die Faszination für Glas löst ja Emotionen aus. In meinen Kindheitserinnerungen taucht immer wieder ein Glasbläser auf – oder Wassertropfen, die sich am Glasfenster langsam nach unten bewegen. Licht und Glas setzen auch Highlights. Die Kirchenfenster in der Kathedrale von Reims mit den Motiven von Marc Chagall haben mich als jungen Mann nachhaltig beeindruckt. Woran machen Sie Ihre Faszination für Glas persönlich fest?
Miriam Schnyder: Das Spiel der Farben, wenn Licht und Glas zusammenkommen, hat mich schon immer fasziniert. Es gibt nichts Schöneres, als wenn sich das Licht im Glas widerspiegelt. Es war folgerichtig die Liebe zum Glas, zu den Farben und zu meinen Kindern, die mich dazu gebracht hat, eine Glaserei zu kaufen.

Kommen wir zunächst zur Geschichte Ihres Hauses. Wie sah der Alltag der Einsatzmöglichkeiten von Glas 1911, dem Gründungsjahr Ihres Hauses als Manufaktur, aus?
Die Epoche vor dem Ersten Weltkrieg nannte sich Fin des Siècle. Es war eine Hochphase des modernen Lebensgefühls. Dementsprechend waren Mode, die Architektur oder die Kunst, ja das gesamte Leben, sehr monumental aufgestellt. Glas spielte hier eine zentrale Rolle, da man sich mit Glas präsentieren und spiegeln konnte. Glas inszenierte sich als Statussymbol. Das aufstrebende Bürgertum wollte sich präsentieren. Produkte wie Vitrinen, Spiegel oder Gläser aus Glas waren hier Mittel zum Zweck. Auf jeden Fall stieg in diesen Jahren die Nachfrage nach Glas. Das war vermutlich ein Motiv für die Gründer meines Hauses, hier tätig zu werden und ein Glasunternehmen zu gründen.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden mit dem Fourcault-Verfahren und dem Libby-Owens-Verfahren Methoden entwickelt, mit denen dünnes Flachglas in grosser Menge wirtschaftlicher hergestellt werden konnte. Welche Rolle spielten und spielen die technologischen Sprünge für die Entwicklung Ihres Hauses?
Die Entwicklung neuer Technologien war und ist ausschlaggebend für die Existenz unseres Hauses. Unsere Tätigkeit besteht aus dem Tagesgeschäft und der Produktion der Produkte, welche das Leben nicht nur vereinfachen, sondern auch täglich verschönern. Ein weiterer Zweig unserer Tätigkeit betrifft die Innovation und Entwicklung von Glasprodukten. Unsere Arbeitswelten stehen nicht still.

Mit dem Floatglasverfahren war die technologische Grundlage für die industrielle Produktion hergestellt. Glas ist seit Mitte des 20. Jahrhunderts in erster Linie ein Fabrikprodukt. Wie positioniert sich Ihr Haus in diesem Rahmen?
Die Glasprodukte werden von uns nicht nur produziert, sondern wir montieren diese auch. Die Montage und auch deren Wartung und Reparatur gehören zu unseren täglichen Aufgaben. Wir müssen immer besser und anders sein als der Massenmarkt.

Heute spricht man wieder von Glas-Manufakturen, die sich am und gegen den Massenmarkt behaupten müssen. Das ist doch eine Situation mit besonders vielen Herausforderungen?
Ja, die Branche ist auf den ersten Blick von Konzentrationsprozessen geprägt. Viele Glas-Manufakturen werden gerade in heutiger Zeit geschlossen, da man die Glasprodukte im Ausland billiger kaufen kann und weil die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Existenz vieler Unternehmen zerstört haben; die Aufträge vonseiten der Privatkunden gingen massiv zurück, die Fixkosten muss man aber unabhängig von der Auftragslage bezahlen. Trotzdem können sich einige kleinere Player, wie wir es sind, halten. Sie konzentrieren sich auf Nischenprodukte und stellen die Bedürfnisse des Kunden, mit einer ganzen Reihe von Dienstleistungen aus den Servicebereichen, konsequent in den Mittelpunkt ihrer Unternehmensphilosophie.

Können Sie uns hierzu Produktbeispiele verraten?
Da weiss ich gar nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören soll. Ich versuche es mal. Es geht um die Küchenrückwand, die Dusche, die Trennwände im Büro, das Glasvordach auf der Veranda, Treppen aus Glas, die Verglasung der Treppen, Glasbausteine, gebogenes Glas, Glasmöbel … Dem Glas in der heutigen Zeit sind keine Grenzen gesetzt. Sie müssen nur als Unternehmen ihren richtigen Platz finden.

Frau Schnyder, wie ist Ihr persönlicher Einstieg in dieses Unternehmen zu erklären?
Da gibt es eine sehr kurze und eine längere Antwort. Die kurze Antwort heisst Liebe: Liebe zum Material, Liebe zu den Lösungen und die Liebe, den Kunden eine faszinierende und passende Lösung zu liefern.

Und wie lautet die längere Antwort? Oft gibt es ja schöne Vorstellungen, die sich an nüchternen Realitäten abarbeiten müssen und daran nicht selten zerschellen.
Jeder Unternehmer startet mit einer gewissen Portion Naivität in die Selbstständigkeit. Jeder denkt, bei mir wird es anders sein. Oft ist das nicht der Fall. Oft verlieren wir unsere Träume und wenn der Kapitän den Horizont aus den Augen verliert, ist das Unternehmen seinem Schicksal und den Gläubigern ausgeliefert.

Sie sind trotzdem in diese kalten Wasser der Selbstständigkeit gesprungen. Lassen sie uns an den Prozessen teilhaben!
Bei dem Gedanken, «selbstständig zu sein», war nie die Idee inbegriffen, dass ich ein Unternehmen mit 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übernehmen und führen werde. Die Situation hat sich zum damaligen Zeitpunkt aber so ergeben. Erst im Nachhinein kann man sagen, ob es eine richtige Entscheidung war oder nicht. Auf jeden Fall bereue ich den Schritt in die Selbstständigkeit in keiner Art und Weise, obwohl der Quotient des Ärgers gestiegen ist.

Was waren Ihre Erwartungen und Ziele bei der Übernahme?
Mein Ziel ist immer noch dasselbe: Ich möchte, dass wir zu den besten Glasereien der ganzen Nordwestschweiz gehören. Und das nächstwichtige Ziel ist natürlich: das Überleben. Ich trage, wie gesagt, Verantwortung für 35 Familien.

Das führt zur Frage, wie Sie die Bedeutung Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschätzen?
Das ist die zentrale Frage. Wir sprechen hier von den tollen Glaslösungen und ihren Faszinationen, die sie auslösen. Aber was ist die Grundlage für all diese Dinge? Es sind motivierte, innovative und professionelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ohne diese Menschen wäre ich keine Geschäftsführerin, ohne diese Menschen hätte ich den heutigen Job nicht.

Entwickeln Sie daraus auch die Prioritäten im Unternehmensalltag?
Ja, die obersten Prioritäten in meinen Unternehmen sind zufriedene Kunden und zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Um das zu erreichen, haben wir die Optimierung der Arbeitsprozesse neu eingeführt. Einmal hat ein Bauherr gesagt: «Es gibt immer etwas, das man verbessern kann, tagtäglich.» Dieses Motto hat mich beeindruckt und ich habe es bei uns eingeführt. Es ist mir bewusst, dass ich meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in gewissen Punkten herausfordere. Wir müssen aber auf das Morgen und auf die Zukunft vorbereitet sein. Wir dürfen nicht nur von den Erfolgen der Vergangenheit leben. Wir müssen nach vorne schauen und wir müssen auf alles vorbereitet sein. Die Kundenwünsche ändern sich; sie werden präziser. Wir müssen aus unseren Fehlern lernen und schauen, dass wir weniger Fehler machen.

Dabei gibt es aber sicher auch menschliche Enttäuschungen? Wir sind ja als Menschen alle aus einem krummen Holz geschnitzt.
Das Schmerzhafte an der Selbstständigkeit ist, wenn man von eigenen Mitarbeitern angelogen und betrogen wird. Nicht einmal der Verlust von Geld verursacht solche Narben wie der Verlust von Vertrauen und Träumen. Auch ein Unternehmer ist nur ein Mensch, der Träume braucht, um weitergehen zu können. Ein Unternehmer trägt unter anderem soziale Verantwortung. Als Unternehmerin würde ich gerne ab und zu den Kopf in den Sand stecken, es geht aber nicht. Man muss nach vorne, egal wie sehr es weh tut. Man hat dann auch wieder sehr positive Erlebnisse.

Wenn es positive Erlebnisse gibt, erzielt man Wachstum. Das heisst aber auch, dass sich das Unternehmen strukturell neu aufstellen muss.
Das ist richtig. Aus diesem Grund haben wir 2020 zwei weitere Firmen gegründet: Es geht um die SCHNYDER Group Holding AG und die SCHNYDER Real Estate AG. Im März 2021 hat die Holding die Glasworld GmbH, eine Glaserei aus Aesch, gekauft. Geschäftsführerin von Glasworld ist Frau Yasmin Gressel. Jetzt haben wir eine gute operative Perspektive und sind für die Zukunft wetterfest aufgestellt.

Woran machen Sie dies fest?
Wir haben jetzt ein hochprofessionelles Team in der Projektleitung sowie in der Produktion und in der Montage. Und das Beste ist: Wir können allein produzieren, sind unabhängig und vor allem – wir sind flexibel! Wir können sofort die geänderten Wünsche der Kunden umsetzen oder eben – wenn ein Fehler auf unserer Seite passiert – sofort reagieren. Eine eigene Produktion ist in der heutigen Zeit ein Luxus, aber ich möchte diesen Luxus unseren Kunden anbieten.

Sie haben auch einen Ort, an dem Ihre Kundinnen und Kunden in Glaswelten eintauchen können?
Die EXPO von SCHNYDER Group Holding AG ist für mich vergleichbar mit der Montblanc Boutique in Basel, wo wir all unsere verschiedenen Produkte, zum Beispiel aktuell Corona-Schutzscheiben, präsentieren dürfen. Als ich das erste Mal die Montblanc Boutique in Basel betreten habe, fühlte ich mich wie in einer Oase, die mitten im Basler Geschäftsleben ihre Schönheit und Ruhe anbietet. Man ist wie in einer anderen Welt. Einfach für ein paar Minuten abschalten und nur den Augen und den Sinnen erlauben, die Schönheit der bei uns
ausgestellten Exponate wahrzunehmen. Nicht nur die Nützlichkeit ist gefragt, sondern auch die Schönheit. Das wollte und will ich mit unserer EXPO erreichen. Als ich im Januar 2019 das Unternehmen übernommen habe, war die EXPO ein Ort, an dem man Antworten auf viele Bau-Fragen finden konnte. In der Zwischenzeit verwandelte sich die EXPO in einen Ort, an dem die Schönheit und die Farbenpracht von Glas das Oberhaupt gewonnen haben.

Last, but not least sollten wir noch den Megatrend Nachhaltigkeit ansprechen. Welche Chancen bietet Nachhaltigkeit für die Glasbranche? Wie passt Glas als Werkstoff dazu?
Das Material Glas hat unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten und passt zu jedem Werkstoff. Das Glas ist hygienisch, sauber, ästhetisch und wunderschön. Nehmen wir einen antiken Holztisch, der im Rahmen eines Kreislaufprozesses ein neues Gesicht bekommen hat und nun zum Schutz eine Glasplatte braucht. Oder ein gebogenes Glas als Trennwand im Büro oder zu Hause. Man kennt das Material «Glas» nur als Fenster oder als Produkt, das zur Benutzung da ist. Man kennt das Glas aber zu wenig als etwas Schönes, was nur dasteht und den Raum erleuchtet. Glas ist zu 100 Prozent recycelbar und ohne Qualitätsverlust unendlich oft wiederverwendbar. Das macht Glas zu einem nachhaltigen Werkstoff wie auch zu einem wertvollen Rohstoff.

www.schnyder-group.swiss
www.glasworld.ch
www.bauglas.ch