Gründe für den Erfolg

von Georg Lutz

Interview mit Dr. h. c. Thomas Straumann

Medartis AG Straumann Group

Die Wiederherstellung von Lebensqualität ist sowohl beim Thema Zahnimplantologie als auch der Osteosynthese das zentrale Ziel. Die Medartis AG und die Straumann Group, beide mit Sitz in Basel, stehen hier für Lösungen, die seit Jahren auf globalen Märkten erfolgreich sind. Das folgende Interview beleuchtet die Gründe für den Erfolg.

Thomas Straumann ist seit über 30 Jahren in sehr unterschiedlichen Branchen in unternehmerischer Verantwortung. Die Hauptstandbeine sind die Medartis AG und die Straumann Group. Daneben trägt er aber auch Verantwortung im Grandhotel Les Trois Rois und beim Reitturnier Longines CHI Classics Basel. Er empfing uns im gediegenen Ambiente der centerVision AG in der St.-Alban-Anlage 68.

 

Geschäftsführer*in Basel: Ihre Erfolgsgeschichte basiert auf einem Wertefundament. Welche Werte kann man in einer so schnelllebigen Zeit – Sie sind ja der Enkel des Firmengründers, der aus dem Uhrengeschäft kam – erhalten?

Thomas Straumann: Ich bin der Enkel des Firmengründers, das ist richtig. Aber die Firma wurde durch mich neu gegründet. Die heutige Straumann Group hat mit der früheren Straumann Holding, rein juristisch gesehen, nichts zu tun. Das ist ein Missverständnis, welches ich leider immer wieder korrigieren muss.

Da haben wir es jetzt gleich ausgeräumt.

Die Straumann-Firmengeschichte oder, präziser ausgedrückt, die Straumann-Unternehmer-Geschichte beginnt mit meinem Grossvater. Die heutige Straumann Group beginnt ihre Erfolgsgeschichte im Jahr 1990.

Kommen wir zu den unternehmerischen Werten. Wie würden Sie diese skizzieren?

Hier geht es in erster Linie um die Firmenkultur – oder genauer, wie sie in der Praxis gelebt wird.

Wofür steht diese Kultur?

Für innovatives Unternehmertum und persönliches Engagement. Jede*r Mitarbeiter*in, egal in welcher Funktion sie oder er beheimatet ist, ist ein Teil dieser Kultur im Unternehmen. Wir haben dabei immer eine Vision vor Augen.

Das würde jetzt fast jeder Unternehmensverantwortliche sagen können.

Ja, aber man muss es leben. Das ist die zentrale Herausforderung. Dabei gilt es, alle Mitarbeiter*innen auf diesem Weg mitzunehmen. Wir kommen aus einem Familienunternehmen, sind in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen und an der Börse und global aufgestellt. Trotzdem haben wir weiterhin die DNA eines Familienunternehmens. Das hören wir auch von aussen: Ihr unterscheidet euch von den Mitbewerbern, da ihr eine Familiengeschichte habt. Hier kümmern sich die Verantwortungsträger*innen um diese Kultur, wir gehen raus. Jeder Verwaltungsrat macht bei uns mindestens zwei Mal im Jahr einen Kundenbesuch. Sie begleiten den Aussendienst. Das findet man in unserer Liga selten, macht aber den Unterschied aus: Die Kunden und der Markt spüren, wer und was wir sind.

Es gibt Ziele und Werte, die jenseits von Zeitgeisteinflüssen Bestand haben. Auf Ihrer Website ist das optisch schnell erkennbar. Dort sind Segelschiffe abgebildet. Als Segler weiss ich, dass es drehende Winde und Untiefen geben kann. Trotzdem halte ich an meinem Ziel fest.

Ja, das ist ein passendes Bild. Ich habe ja auch eine Seglervergangenheit.

Da haben wir ja eine Gemeinsamkeit.

Wie haben sich Ihre Branche der Dentalimplantologie bei Straumann, die 1990 gegründet wurde, und Ihr zweites Standbein, die Medartis AG, die 1997 gegründet wurde, entwickelt? Sie legten mit Medartis ja den Grundstein für den Wiedereinstieg in die Osteosynthese im Bereich der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Können Sie zunächst mal den Begriff Osteosynthese herunterbrechen?

Es geht, ganz einfach gesagt, um die Zusammenfügung von Knochen. Nach einer Fraktur geht es darum, den Heilungsprozess durch eine richtige Positionierung und Fixierung des Knochens zu optimieren und zu fördern.

Wo lagen am Anfang die zentralen Herausforderungen? Lag es an den Abstossmechanismen des Körpers gegenüber Fremdmaterial – dies kennen wir ja aus der Transplantationsmedizin – oder gab es andere Gründe?

Nehmen wir als Beispiel die Zahnimplantate. Abstossungen oder Körperunverträglichkeiten waren nicht das zentrale Problem. Das wurde 1990 technologisch gelöst. Es ging eher darum, Alternativen zum konventionellen Zahnersatz auf dem Markt durchzubringen. Früher gab es nach einer Zahnextraktion meist eine Brücke. In diesem Fall wurden dann zwei Zähne geopfert, indem sie beschliffen und beklebt wurden. Implantate waren da die eindeutig bessere Lösung. Aber diese Erkenntnis brauchte Zeit. Es gab dann ohne Frage in einigen Bereichen noch Verbesserungspotenzial. Es ging um die Frage, welche Materialien sich am besten bewährten. Zudem beschäftigten wir uns lange mit einer schnelleren Einheilungszeit und dem Thema Belastung. Der Patient will ja möglichst schnell wieder seine volle Lebensqualität zurückhaben.

An diesem Punkt stellt sich die Frage, warum Sie im Vergleich zu den Mitbewerbern dann so eine Erfolgsgeschichte hingelegt haben.

Da hat uns zunächst die Vorgeschichte geholfen. Wir kamen aus der Orthopädie und konnten schon ein Vorwissen und technisches Know-how in die Waagschale werfen. Und dann hatten wir auch schon Kontakte in die Praxis, sprich zu Ärzt*innen. Das Wichtigste war aber sicher der Aufbau einer Symbiose zwischen Wissenschaft, Industrie, Ärzt*innen und uns. Wir haben immer sehr grossen Wert daraufgelegt – und tun dies immer noch –, dass unsere Forschung und Entwicklung wissenschaftlich abgestützt sind. Hochschulen und Ärzt*innen wurden und werden frühzeitig eingebunden, da sie es schlussendlich sind, die die Implantate einsetzen. Das ist auch heute noch so. Sie können nicht nur ein Produkt entwickeln und auf den Markt werfen. Das funktioniert in unserer Branche nicht. Sie brauchen die wissenschaftliche Unterstützung.

Ein Kernstück dieser Zusammenarbeit ist das International Team for Implantology (ITI). Es wurde schon 1980 von meinem Vater und Professor André Schröder, einem führenden Kopf der Zahnheilkunde in der Schweiz, gegründet. Damals war dies eine Arbeitsgruppe mit 40 Mitgliedern aus dem DACH-Raum. Heute gibt es global über 20’000 Mitwirkende. Das ist ein zentrales Modul unserer Erfolgsgeschichte.

Mit Medartis sind wir ähnlich gefahren. Auch dort war von Anfang an klar, dass wir einen wissenschaftlichen Partner brauchen. Und es funktioniert. Ich habe nie begriffen, warum andere Player hier nicht ähnliche Modelle der Zusammenarbeit aufgebaut haben.

Sind die Mitbewerber zu schnell mit ihren Produkten auf den Markt gegangen?

Ja, oft zu schnell und zu verkaufsorientiert. In der Medizinaltechnik braucht es einen guten Mix.

Ist der Standort Basel hier eine Hilfe?

Der Standort Basel bietet ideale Rahmenbedingungen für uns. Wir sind in einer Region, in der die Pharmaindustrie und die Biotech-Branche viel Know-how bieten. Dazu kommt die medizinische Fakultät der Universität Basel. Hier gibt es seit Jahren eine intensive Zusammenarbeit.

Sie haben sich ja auch mit Medartis eine wirkliche Herausforderung gesucht. Das Thema Handchirurgie ist ja mit das Komplizierteste, was es in der Medizin gibt.

Lassen Sie uns in die Praxis springen. Ich laufe im Winter Schlittschuh, rutsche aus und meine Hand knallt auf das Eis. Die Folge ist ein Trümmerbruch und nun helfen mir Ihre Produkte.

Ja, das ist ein gutes Beispiel. Wir kommen ja eigentlich aus der Kiefer- und der Gesichtschirurgie und haben dann in die Hand diversifiziert. Heute verfügen wir über ein komplettes System, welches die gesamten oberen Extremitäten abdeckt. Das beginnt vorne bei den Fingergelenken, geht über den Radius bis hin zu Ellbogen und Schulter. Heute sind wir in Europa, im Rahmen der Handchirurgie, die Nummer eins.

Und geht die Reise weiter?

Wir haben jetzt auch ein komplettes selbstentwickeltes Fusssystem lanciert. Um diesen Bereich noch schneller voranzutreiben, haben wir ein Unternehmen in den USA akquiriert, welches auf Fusschirurgie spezialisiert ist. Mittlerweile decken wir den Kopfbereich und die unteren Extremitäten beinahe komplett ab. Auch hier geht das nur mit der entsprechenden wissenschaftlichen Unterstützung.

Wie geht die Unternehmensstrategie hier weiter? Es wurden und werden, so mein Eindruck, Module, die in das Ökosystem von Medartis und Straumann passen oder es ergänzen, dazugekauft.

Bei Straumann kamen wir aus der reinen Implantologie. Wir waren ein Schraubenhersteller. Ein Zahnimplantat ist eine Schraube. Und dann gibt es noch einen prothetischen Aufsatz quasi als Überbau. Die Zahnmedizin hat sich aber in den letzten Jahren enorm verändert. Der Kunde verlangt heute eine Gesamtlösung. Das beinhaltet beispielsweise die Planung. Das läuft heute über digitale Lösungen, die zum Beispiel den Kiefer abscannen, um einerseits die optimale Positionierung der Implantate und auch die prothetische Versorgung zu gewährleisten. Da mussten wir unser Angebot ausbauen. Dann gibt es die Weiterentwicklung der Implantologie selbst. Da arbeiten wir zum Beispiel vermehrt mit dem Material Keramik, allein hinsichtlich der Ästhetik wird das heute zunehmend eingesetzt. Dann haben wir den kieferorthopädischen Bereich, sprich Zahnkorrekturen. Auch dort haben wir eine Firma akquiriert, um Fuss fassen zu können. Man kann heute nicht mehr getrennt von reiner Implantologie und der restlichen Zahnheilkunde sprechen. Der Kunde will heute Lösungen aus einem Guss. Planung, Vorversorgung, Behandlung und Nachbehandlung stehen in einem gemeinsamen Rahmen. Das war und ist auch der Grund für vielfältige Firmenübernahmen bei Straumann.

Und wo liegen jetzt die zukünftigen Tätigkeitsfelder?

Wenn heute Akquisitionen dazukommen, betrifft dies in erster Linie die Komplettierung der bestehenden Bereiche oder neue Markgebiete. Wir waren bislang in erster Linie im Premiumsegment tätig. Wir arbeiten aber auch an preiswerteren Lösungen, ohne dadurch Qualität zu verlieren. Das Value-Segment hat sich sehr stark entwickelt.

Gibt es da noch Luft nach oben?

Ja, hier gibt es Potenzial. Das beste Beispiel ist Brasilien. Wir haben schon vor zehn Jahren die Firma Neodent gekauft. Von der Preisstruktur her sind dies Value-Produkte. Wir sind damit sehr erfolgreich. Wir beschäftigen in Brasilien in allen Bereichen, inklusive Produktion, mittlerweile über 1000 Angestellte. Die Produkte von Neodent sind inzwischen global im Angebot.

Jetzt kann man diskutieren, ob man sein Angebot noch weiter ausbauen soll. Es gibt Unternehmen, die inzwischen ganze Praxiseinrichtungen anbieten. Da sind wir bislang zurückhaltend. Die digitale Transformation ändert aber das Bild. Die ganze Planungs- und Scannertechnologie verbindet sich zunehmend mit der gesamten Infrastruktur einer Praxis. Da sind Systeme beispielsweise schon im Zahnarztstuhl verbaut. Da schauen wir aktuell, wie wir auf dieser Welle mitschwimmen können, ohne dass man sich verzettelt.

Kommen wir zu einer echt schwierigen Branche, der Hotellerie. Seit 2004 betreiben Sie das Les Trois Rois. Das ist in den heutigen Tagen eine echte Prüfung. Stichworte sind die Pandemie, das Wegbrechen der Messen in Basel und eine leicht verstaubte Reputation. Warum tun Sie sich das an und wie steuern Sie diesen negativen Trends entgegen?

Die Hotellerie hat mich schon immer fasziniert. Das liegt natürlich auch an meiner intensiven Reisetätigkeit. Auch in einem guten Hotel muss Kultur gelebt werden. Der Gast muss sich wohl fühlen. Das Les Trois Rois ist eher zufällig auf mich zugekommen. Ich hatte damals das Le Grand Bellevue in Gstaad gerade fertig renoviert, habe dort gelebt und war zufrieden, es war edel, klein und überschaubar. Über den Architekten Christian Lang, mit dem ich schon andere Projekte realisiert habe, bin ich auf das Les Trois Rois gestossen. Meine Frau und ich haben uns zusammengesetzt und beschlossen, hier aktiv zu werden.

Die Entscheidung beinhaltet sicher auch emotionale Momente.

Ohne Frage, wir wollen da auch eine Institution erhalten. Es ging darum, diesem Haus seinen Stolz zurückzugeben. Aus diesem Grund gab es den umfassenden Umbau. Das Hotel steht heute ganz anders da als vor knapp 20 Jahren.

Aber Sie liegen natürlich richtig. Die Hotellerie hat sich verändert und Basel hat sich verändert. Wir haben inzwischen dort eine andere Kundenstruktur. Während der Pandemie ist das Businesssegment weitgehend weggebrochen. Das wird auch so nicht mehr zurückkommen. Home Office und Teams sind Stichworte dafür. Wir müssen uns neu ausrichten …

… und wie?

Das geht in Richtung Kultur und Tourismus.

Ich besuche die Fondation Beyerler und übernachte dann im Les Trois Rois.

Genau in dies Richtung geht es.

Es gibt allerdings eine zentrale Frage im Zusammenhang mit einem klassischen Grandhotel: Wie definiert eine junge Generation Luxus?

Das ist eine sehr spannende Frage. Haben Sie auch Antworten?

Es geht um moderne Erlebnismomente.

Wenn ich alte Zöpfe abschneide, muss ich eine neue Frisur präsentieren.

Es braucht die Vielfalt, die nicht beliebig wirken darf. Es braucht die klassischen Momente und die modernen Inspirationen. So kann es in einem Restaurant die gehobene leichte asiatische Küche geben, die modern interpretiert wird. Man muss nicht in der Küche stehen, aber moderne Kochkünstler*innen verstecken sich auch nicht in ihr. Sie präsentieren sich am Tisch. Heute braucht es in einem Grandhotel eine Mischung aus einem steifen Kellner im Frack und jugendlichem sportlichem Flair mit einem modernen und transparenten Auftritt. Wer sich heute in einem solchen Hotel aufhält, will emotionale Momente erleben, in die er miteinbezogen wird. Zusammengefasst: Dieses Produkt muss neugestaltet werden, ohne dass die Geschichte vergessen wird.

Wie gleicht der Mensch Thomas Straumann den alltäglichen Unternehmerstress aus?

Hauptsächlich bei den Pferden. Ich habe zwei Töchter, die international erfolgreich reiten. Zusammen mit Willy Bürgin habe ich vor Jahren den CSI Basel ins Leben gerufen. Mittlerweile haben wir diesen Anlass zu den Longines CHI Classics Basel weiterentwickelt. Als Verwaltungsratspräsident der CHI Classics Basel Ltd. bin ich stolz darauf, dass wir für 2025 die FEI-Weltcupfinals im Springreiten, der Dressur und Voltige nach Basel holen konnten. Dies ist eine grosse Ehre für uns, unsere Stadt, unsere Region und die Schweiz.

Aber das ist jetzt ja auch wieder Arbeit.

Ja, wenn auch eine ganz andere Arbeit. Ich bin viel auf unserem Pferdehof in Kandern in Deutschland. Da bin ich an der frischen Luft und arbeite körperlich im Backbereich. Das ist für mich ein echter Ausgleich. Gleichzeitig bin ich auch ein Wassermensch. Wasser entspannt und inspiriert mich. Früher war ich an der Nordsee auf den ostfriesischen Inseln und habe dort auch Segeln gelernt. Später bin ich dann beispielsweise mit meinem Schwager zusammen den Langstreckencup am Vierwaldstättersee gesegelt. In solchen Wassersituationen kann ich komplett runterfahren. Ich musste dann aber das Regattasegeln aus Zeitgründen aufgeben. Aber Wasser fasziniert mich immer noch und die Nordsee – heute die Insel Sylt – ist noch immer mein zweites Zuhause.

www.straumann.com/ch/de

 

Thomas Straumann hat klare Ziele, die er auch bei Gegenwind im Blick hat.

Der Standort Basel mit seiner Pharmaindustrie und der Biotech-Branche bietet viel Know-how.

Thomas Straumann hat die DNA eines Familienunternehmers, obwohl seine Unternehmen heute globale Player sind.

Die Kunden wollen heute schlüssige und passende Gesamtlösungen.

Der Value-Markt mit seinen preiswerteren Produkten hat noch Luft nach oben.

Wer heute in der Hotellerie tätig ist, braucht gute Konzepte und einen langen Atem.