Modernisierungsschub für Interlaken

von Georg Lut

Der Gebäudekomplex im Herzen von Interlaken umfasst mehrere Nutzungsmodule.

Ende Juni war der Geschäftsführer Basel bei einer Grundsteinlegung in Interlaken. Es ging um einen neuen Baukomplex, der Wohn- und Verkaufsflächen sowie ein Hotel umfasst. Investorin ist die Basler VAREM AG. Das ist auf den ersten Blick überraschend, da die Tourismusstadt Interlaken in Pandemiezeiten gelitten hat und neue Aufbrüche vor diesem Hintergrund schwierig erscheinen. Der Name Interlaken steht für eine international sehr geschätzte Tourismusdestination. Wer mit dem Zug von Bern über Thun nach Interlaken fuhr, konnte vor der Pandemie Grossfamilien aus Indien und anderen asiatischen Ländern beobachten, die in Vorfreude auf den Gletscherblick vom Jungfraujoch schon auf der Fahrt durch das Berner Oberland in Begeisterung ausbrachen. Interlaken war und ist das Einfallstor für Ziele wie Grindelwald oder Mürren und das grandiose Bergpanorama Eiger, Mönch und Jungfrau. Es ist daher kein Wunder, dass auch andere Zielgruppen wie die der Base Jumper und Wingsuits-Flieger ihr Mekka in Grindelwald und Lauterbrunnen finden. Eigentlich eine gute Grundlage für Investoren in Interlaken.

Durch die Pandemie wurde der internationale Tourismus aber jäh unterbrochen und stellte die Tourismusakteure vor Ort vor grosse Herausforderungen. Allerdings kann nicht nur ein Virus die Bilanzen verhageln. Interlaken ist ohne Frage ein Mythos. Wer sich jedoch auf einem Mythos ausruht, wacht nicht selten mit Überraschungen auf. Ja, es gibt die legendären Hotels wie das Victoria Jungfrau. In den mittleren und unteren Preiskategorien setzten die Hotels, Restaurants und das Gewerbe in den letzten Jahren aber etwas Patina an. Einigen Häusern wünscht man eine Modernisierung, die ihnen wieder den Anschluss an das moderne Zeitgeschehen ermöglichen würde. Es ist daher auch kein Wunder, dass einige Drei-Sterne-Hotels in den letzten Jahren in Interlaken vom Markt verschwunden sind. Auch in der Gastronomie tut sich eine Lücke auf. Da gibt es einerseits die sehr eleganten, aber auch teuren Angebote, andererseits gibt es immer mehr Fast-Food-Läden. Das klassische Restaurant ist etwas in den Hintergrund gedrängt worden. Es muss sich vermutlich in neuer Form neu erfinden.

Positive Zeichen setzen
Nun entsteht, vor dem geschilderten Hintergrund, direkt am Westbahnhof ein neues Wohn- und Geschäftshaus. Zudem ist ein hotelzentrales Modul im Rahmen des Vorhabens eingebettet. Kommen wir zunächst zu den nüchternen Fakten: Das Projekt umfasst 58 Wohnungen. Das sind 36 Eigentums- und 22 Mietwohnungen, die zwischen der Grösse von 50 und 150 Quadratmetern pendeln. Das ganze Sockelgeschoss steht für Retail zur Verfügung. Der Hotelteil bietet 94 Hotelzimmer im gehobenen Drei-Sterne-Bereich an. Die in Basel-Stadt ansässige Immobilienentwicklungsfirma VAREM AG ist Bauherrin und Investorin dieses 50 Millionen schweren Projektes. Die Verantwortlichen wollen, offensichtlich gerade im Rahmen des Abklingens der Pandemie, Zeichen setzen. Das erfordert Mut.

Lösungen für unterschiedliche Zielgruppen
Die deutsche Dorint-Hotelgruppe realisiert ein modernes Mittelklasse-Hotel mit 94 Zimmern. Die Eröffnung ist für Anfang 2024 geplant. Rob Bruijstens, CCO der Dorint Gruppe, stellte sich unserem Gesprächsangebot. Auf den ersten Blick gibt es in Interlaken viele Hotels und auch viele stationäre Handelsgeschäfte mit Produkten und Dienstleitungen, die rund um das Thema Tourismus angesiedelt sind. Warum braucht es jetzt noch ein Hotel? Für Bruijstens ist der Standort im Zentrum von Interlaken, direkt am Bahnhof, der zentrale Punkt. Dorint führt seit 40 Jahren ein Hotel im Berner Oberland. Die Verantwortlichen kennen den Markt sehr gut. Dir Zielgruppen reichen von Geschäftsreisenden bis hin zu Familien. Es geht um ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Die Zimmer sind in Teilen auf Familien abgestimmt. Das ist für Bruijstens zentral: «Arabische oder indische Gäste reisen im Normalfall mit Kind und Kegel an.» Aber auch andere Gruppen schätzen das Besondere in einem bezahlbaren Preisrahmen: «Im Business-Segment gibt es beispielsweise Handwerker, die auch in einem modernen Hotel übernachten wollen. Es kann sich nicht jeder ein Fünf-Sterne-Hotel leisten.» Der Launch-Lobby-Bereich, in dem eine angenehme Atmosphäre vorherrschen soll, ist auch für die einheimische Bevölkerung eine Freizeitlösung, wenn sie beispielsweise einen Apero geniessen will.

Aber leben nicht klassische bekannte Tourismusdestinationen von ihrem Mythos und droht so nicht der Anschluss an jüngere Generationen verloren zu gehen? Dem widerspricht Bruijstens, was Interlaken betrifft: «Es gibt hier in der Region viele Angebote für Trendsportarten, die gerade jüngere Generationen anziehen. Und wir haben die Angebote für sie.»

Attraktivität des Standorts im Blick
Vizegemeindepräsident Kaspar Boss repräsentierte die Gemeinde Interlaken bei der Grundsteinlegung. Er legte, trotz jüngster Krisenerfahrungen, ein klares Bekenntnis zum Tourismusstandort Interlaken ab. Für ihn gibt es Handlungsbedarf, aber das Projekt trägt zur Lösung der Herausforderungen bei. Es ist für ihn ein ergänzendes Angebot. «Der Bedarf im modernen Drei-Sterne-Bereich ist da. Es ist eine Verbesserung des Standorts.» Welches Gewerbe findet in diesem Gebäude ausser der Tourismusbranche seinen Platz? Dazu Kaspar Boss: «Wir sind stark auf den Tourismus ausgerichtet. Das hat man gerade in der Corona-Krise gesehen und bitter gespürt. Wir brauchen neue Standbeine mit arbeitsplatzintensiven Branchen.» Genau diese will er in den Neubau ansiedeln.

Patrik von Arx ist Geschäftsführer bei VAREM. Auch für ihn als Investor ist bei einem Neubauprojekt die Lage das zentrale Kriterium. Erstens könne man in einer Premiumlage – und dies sei eine Premiumlage – die Risiken minimieren. Zweitens lasse sich die geforderte Nutzung klarer erkennen und realisieren. Der Bahnhof ist das Eingangstor Interlakens und gleich angrenzend an das Perron findet man das Hotel. Tourismus und Hotels sind sicher nicht die einfachsten Investitionsprojekte. «Aber wenn nicht an diesem Standort, wo dann?», betont von Arx.

Wer heute Büros plant und realisiert, steht ebenfalls vor Herausforderungen. Timo Scherer von der Varem Development AG kennt die Hürden, aber auch die Lösungen: «Hier haben wir nicht nur einen Bahnhofsstandort. Gewerbeflächen sind im Erdgeschoss. Das sind die attraktiven Retailflächen. Wir hoffen auf das Engagement von Sportanbietern, Anbietern für hochwertige Produkte, aber auch für den alltäglichen Bedarf.»

Insgesamt bekommt Interlaken so einen attraktiven Leuchtturm in sein Zentrum gestellt, der in den nächsten Jahren sicher auch Strahlkraft für seine Umgebung entwickelt.

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