Das rund 11.6 Hektar grosse Lysbüchel-Areal (auch bekannt als VoltaNord) in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof St. Johann wird neu und gegen innen entwickelt. Ziel ist ein lebendiges Kleinquartier, das organisch in die umliegenden Quartiere eingebunden ist. Erreicht werden soll dies dank Nutzungsvielfalt, grosszügiger Grün- und Freiflächen und eines breiten Wohn- und Arbeitsplatzangebots.
Wir trafen die SBB-Projektleitenden Lucie Duskova und Christian Märki auf dem VoltaNord-Areal – vor alten Bahnprellböcken auf einem weiträumigen Brachgelände, welches bis zum Baustart als Kulisse für eine lebendige Zwischennutzung dient. Das Areal atmet noch die alte Wohn-, Verkehrs- und Industriekultur des 20. Jahrhunderts. Jetzt geht es um eine städteplanerische Lösung für das 21. Jahrhundert. Wir blicken auf das Baufeld und in die Zukunft.
«Geschäftsführer*in Basel»: Wir stehen hier auf dem Gelände von VoltaNord. Was verbirgt sich – kurz skizziert und auf Ihre Baufelder bezogen – dahinter? Lucie Duskova: Das ehemals gewerblich genutzte und durch Gleisfelder geprägte Areal wird gemeinsam von Kanton, Genossenschaften und SBB entwickelt. Insgesamt entstehen rund 2000 bis 2500 Arbeitsplätze, Wohnraum für 1500 bis 2000 Einwohner*innen, davon zwei Drittel preisgünstig, sowie dringend benötigter Schulraum und attraktive Frei- und Grünflächen. Die SBB entwickelt zwei Baufelder mit einer Fläche von rund 29’000 Quadratmetern.
Mischnutzung ist ein weiteres wichtiges Stichwort. Können Sie dieses mit Inhalt füllen? Christian Märki: Es geht um Wohnen, Arbeiten und Produzieren. Im vorderen Teil des Areals, in Richtung Bahnhof St. Johann, stehen Wohnlösungen im Vordergrund. Im hinteren Teil, in Richtung französische Grenze, kommt Gewerbe dazu. Das ist aber nicht eine Lösung mit klaren Abtrennungen, sondern es handelt sich um fliessende Übergänge.
Die Gewerbe- und Dienstleistungsflächen sind so konzipiert, dass eine möglichst grosse Flexibilität in der Nutzung entsteht, um auf verschiedene Bedürfnisse reagieren zu können.
Wie sehen die Rahmenbedingungen aus? Mit dem Kanton Basel-Stadt haben wir ein gemeinsames Regelwerk entwickelt, welches nun die Leitplanken vorgibt. Es bezieht sich beispielsweise auf Nutzungen, Vegetation, Ökologie, Gebäudevolumen, Grünflächen oder Mobilität. Es kommen noch weitere Parameter dazu. Weiter legt es beispielsweise auch das Verhältnis zwischen Wohn- und Gewerbe- sowie Industrieflächen fest. Basierend auf diesen Eckwerten entwickeln wir die Projekte für einen neuen, lebendigen und zeitgemässen Stadtteil.
Lucie Duskova: Die Mischnutzung spiegelt die heutigen Anforderungen wider. Ein Blick in die Geschichte verdeutlicht dies: In den 1960er-Jahren hat man Wohnen und Arbeiten streng getrennt. Das ist jetzt nicht mehr so. Basel-Stadt entwickelt sich zu einer 15-Minuten-Stadt. Das heisst, mit dem Velo oder zu Fuss und Tram ist man in einer Viertelstunde fast überall. Man hat also die Möglichkeit, alles zusammenzubringen. Auf dem Baufeld 2 beispielsweise bedeutet das 40 Prozent Gewerbe und Dienstleistung sowie 60 Prozent Wohnanteil.
Auf der einen Seite wil man heute verdichten, auf der anderen Seite braucht man Platz, damit sich die Menschen treffen können. Ist das nicht eigentlich ein Widerspruch? Christian Märki: Nein, überhaupt nicht. Wir verdichten gegen innen, bauen kompakter und höher. Daher brauchen wir weniger Grundflächen und gewinnen Freiräume, die bespielt werden können.
Was heisst das konkret? Wir planen mit überhohen Erdgeschossen, auf denen bis zu sieben Obergeschosse zu liegen kommen – je nach Gebäude bis zu einer Höhe von 28.5 Meter. Damit ein einheitlicher Blockrandcharakter entsteht, werden alle Gebäude auf dem Baufeld 2 gleich hoch geplant. Im Innenhof und auf den Aussenflächen hat es viel Platz für Grünflächen, beispielsweise den über 4000 Quadratmeter grossen Lysbüchelplatz und entlang der Gleise den über 20’000 Quadratmeter grossen Saint-Lois-Park, von dem 12’500 Quadratmeter der Naturschutzzone zugewiesen sind.
Im Rahmen der Bauarbeiten werden zudem bis anhin versiegelte Flächen entsiegelt. Umgekehrt haben wir die Auflage, bei der Transformation möglichst wenig Flächen zu versiegeln.
Eine Schwammstadt wird Realität? So ist es und es geht noch weiter: Das Ziel eines Pilotprojekts der Stadt Basel auf VoltaNord ist, Regenwasser nicht mehr in die Kanalisation einzuleiten. Es geht um die Ausbildung von Mulden. Wasser soll im Boden versickern. Das gilt auch für die Innenhöfe. Zusätzlich wird das Wasser von den Dächern genutzt, um die Grünanlagen zu bewässern. Ein Teil des auf dem Baufeld 2 gesammelten Regenwassers wird in den Park abgegeben und dort unter anderem für gestalterische Elemente genutzt. Mit solchen Massnahmen kann das Mikroklima in der Stadt positiv beeinflusst werden.
Da sind wir doch schon voll in der Klimadebatte. Bei Planer*innen geht es heute eben nicht nur um Fassaden oder Geschosshöhen. Da sind wir schon komplexer in der Planung unterwegs als früher. Wir müssen nicht nur das Thema Mikroklima, sondern auch das Thema Erschliessung bearbeiten: Früher bauten wir Strassen für Autos, hatten Parkplätze und eine Tramlinie. Heute gibt es zahlreiche Fortbewegungsmittel und damit stellt sich eine Vielzahl von Fragen: Wie wollen wir das Velofahren fördern? Wo gibt es mehr Veloabstellplätze und wie gewährleisten wir den optimalen Umstieg zwischen den verschiedenen Mobilitätssystemen? Dann haben wir auch das Thema Lärmemissionen von Industrie und Gewerbe auf dem Schirm. Hier muss einiges zusammen gedacht und gebracht werden. Daraus resultiert eine höhere Qualität, aber auch ein höherer Aufwand bei der Entwicklung und Planung.
An Bord sind auch genossenschaftliche Modelle. Es geht vermutlich auch um bezahlbaren Wohnraum. Das Areal ist gut erschlossen. Tram und Bahn, der Bahnhof St. Johann, liegen quasi ums Eck. Bei der Preisgestaltung orientieren wir uns an Lage sowie quartierüblichen Mietpreisen. Das Ziel ist ein durchmischter und damit lebendiger, neuer Stadtteil, weshalb es unterschiedliche Preisstufen gibt. Auf dem Baufeld 2 werden 30 Prozent Genossenschaftswohnungen umgesetzt. Dazu kommen über 200 hochwertige Wohnungen im mittleren Preissegment.
Treibt die Philosophie Ihres Hauses nicht die Preise? Hochwertig heisst nicht unbedingt teuer. Hochwertig bedeutet zum Beispiel, dass wir CO2-Neutralität beim Heizen und der Warmwasseraufbereitung anstreben. Hierfür werden zwei Grundwasserfassungen erstellt. Dazu kommen Photovoltaikanlagen – nicht nur auf den Dächern, sondern auch an den Fassaden. Mit diesen produzieren wir den Strom für die Wärmepumpen selbst. Auf fossile Energieträger wird verzichtet. Und wir achten auf die verbauten Materialien: So ist Gips auf dem Rückzug und Holz auf dem Vormarsch.
Wie sieht es bei der Dämmung und Energieeffizienz aus? Den heutigen Vorgaben entsprechend erstellt die SBB Gebäude mit sehr guten Dämmwerten. Durch die Grundwassernutzung und die Photovoltaikanlage wird eine hohe Energieeffizienz erreicht. Hightech-Lösungen werden nicht präferiert. Wir planen mit Lowtech-Lösungen, die weniger graue Energie verschlingen und in ihrer Wirkung trotzdem durchdacht sind: Bei uns soll man ein Fenster zum Lüften öffnen dürfen.
Heutige Büro- und Arbeitsflächen müssen flexibel gestaltbar sein. Wie erreichen Sie dies hier? Lucie Duskova: Wir planen hier mit klaren Strukturen, mit denen wir Dienstleistungsanbieter und Gewerbetreibende anziehen wollen. Wir wollen aber auch – wo dies möglich ist – flexibel sein. So arbeiten wir nicht mit fest verlegten Leitungen in den Flächen, sondern stellen eine zentrale Erschliessung in den Kernen sicher, von wo aus der benötigten Infrastruktur erschlossen werden kann. Dies bedeutet, es sind Flächen in den unterschiedlichsten Grössen und Erschliessungsoptionen realisierbar.
Gibt es unterschiedliche Fassaden? Christian Märki: Jedes Gebäude wird von einem anderen Architektenteam realisiert. Das Erscheinungsbild wird also nicht homogen sein. Bei den Baumaterialien für die Fassaden geht die Tendenz zu Holzelementen, die mit einer vorgehängten Fassade bespielt werden.
Kommen wir zu Ihrer Tätigkeit. Wie kann man Ihre Arbeit beschreiben? Wir sind Immobilienentwickler, neudeutsch Developer. Unsere Aufgabe ist die Gesamtprojektleitung. Zusammen mit dem Kanton Basel-Stadt hat die SBB über Jahre das ganze Gebiet VoltaNord entwickelt. Nach Rechtskraft des Regelwerks wurden mehrere Architekturwettbewerbe veranstaltet. Deren Ausschreibung basierte auf dem genannten Regelwerk und zusätzlichen Anforderungen, welche die SBB definierte. Die Siegerteams bilden die sogenannten Generalplaner-Teams. Da kommen Architekt*innen, Bauingenieure, Haustechniker*innen, Projektsteuerer und weitere Spezialist*innen zusammen. Diese Teams planen und entwickeln dann mit der SBB zusammen Gebäude und Umgebung. Wir führen alle Generalplaner-Teams und überwachen die Resultate, die Qualitäten, die Kosten und Termine.
Inwiefern helfen hier digitale Lösungen, zum Beispiel Building Information Modeling (BIM)? BIM ist bei der SBB ein wichtiges Themenfeld. Das VoltaNord-Areal ist das erste Projekt, das wir nicht nur als Pilot realisieren, sondern auch zu 100 Prozent mit BIM umsetzen. Jedes Generalplaner-Team muss mit BIM arbeiten. Wir kontrollieren die Planung nur noch in den Modellen und nicht mehr auf ausgedruckten 2D-Plänen. Die SBB wird ab 2025 bei allen Projekten mit einem Investitionsvolumen von mehr als fünf Millionen Franken nur noch mit BIM arbeiten. Der zentrale Nutzen zeigt sich im Unterhalt und der Bewirtschaftung.
Können Sie uns auch hier ein Beispiel verraten? Ist eine Pumpe defekt, erkennt man im Modell beispielsweise sofort den Lieferanten, die Artikelnummer, weitere technische Angaben – klare Angaben für die Neubestellung also. Mit BIM hat man einfach alle Daten, alle Informationen sofort zur Verfügung. Das ist der Vorteil gegenüber klassischen Lösungen.
Wo liegen die Herausforderungen in den nächsten Jahren? Auf unser Baufeld bezogen, klar bei der Koordination von Schnittstellen, Baulogistik und Terminen: Wann baut wer? Wer liefert wo an? Wann saniert man die Strassen und die Erschliessungsleitungen? Zu welchem Zeitpunkt sollte der Park fertig sein? Wenn die Mieter*innen ihre Wohnungen bezogen haben, sollte das Grün schon sichtbar sein. Es gibt hier viele Parameter, die zum richtigen Zeitpunkt zusammenkommen müssen.
Lucie Duskova: Kommunikation und Beteiligung sind weitere wichtige Stichworte für die SBB bei der Projektentwicklung. Die Menschen aus den umliegenden Quartieren und die zukünftigen Bewohner*innen müssen in die Planung miteinbezogen und transparent informiert werden – dies mittels Mitwirkungsverfahren und regelmässig stattfindender Infoveranstaltungen. So können sie die Identität des neuen Stadtteils von Anfang an mitprägen.