Fussball und seine Nachwuchsarbeit sind ein wichtiges Arbeitsfeld. Es entscheidet mit, ob ein Verein erfolgreich ist oder auch nicht. Talentierte, junge Spieler sind heute von einem sehr ehrgeizigen Umfeld umgeben. Es besteht die Gefahr des Ausbrennens. Demgegenüber gibt es andere Möglichkeiten und Modelle, die nachhaltiger sind – selbst im Profifussball der ersten Ligen der Schweiz und Deutschlands. Wir trafen uns mit einer Basler Fussballlegende.
Massimo Ceccaroni war fast sein ganzes Leben mit dem FC Basel verbunden –zunächst als Spieler von 1987 bis 2002, aus heutiger Sicht eine fast unglaubliche Konstanz. Dann war er verantwortlich in die Nachwuchsarbeit eingebunden und zudem vier Jahre Mitglied des Verwaltungsrates. Im November 2021 haben sich der Verein und Ceccaroni getrennt – eine
Ära ging zu Ende. Jetzt bricht Massimo Ceccaroni zu neuen Ufern auf, wobei das Fussballentwicklungsland Indien eine zentrale Rolle spielt. Wir trafen uns zum Interview.
Im Fussballgeschäft dreht sich das Wechselrad immer schneller. Konstanz scheint ein Fremdwort zu sein. Sie sind in Ihrer Karriere das pure Gegenteil gewesen. Seit 1987 haben Sie in der ersten Mannschaft des FC Basel gespielt und das bis zum Karriereende 2002 durchgehalten. Wo lagen die Gründe für diesen ungewöhnlichen Weg als Profispieler?
Massimo Ceccaroni: In erster Linie geht es hier um die Verbundenheit mit der Region und der Stadt sowie um die Freundschaften und Beziehungen, die ich dort gepflegt habe und immer noch pflege. Ein funktionierendes soziales Umfeld ist für mich sehr wichtig. Das betrifft nicht nur den Fussball. Klar, Fussball ist ein Teamsport und ich weiss es sehr zu schätzen, dass ich Teil eines Teams bin. Aber ich bin hier aufgewachsen, in die Schule gegangen, habe meine Jugend hier in Basel und Umgebung gelebt. Auch meine Familie ist hier. Ich wollte dieses Umfeld nicht verlassen. Es war mir wichtiger als taktische Fragen in meiner Karriereplanung. Das soziale Umfeld hat mir Sicherheit gegeben. Hier konnte ich
meine Persönlichkeit entfalten. Ob ich woanders etwas mehr Geld verdienen würde, war bei mir ein nebensächlicher Punkt.
Waren die Achtzigerjahre auch im Fussball eine andere Zeit?
Ja sicher. Es gab noch nicht so viele Fussallmanager und Fussballberater. Es war nicht die Regel für gute Schweizer Fussballprofis, ins Ausland zu wechseln. Heute träumt fast jeder schnell von der ersten englischen Liga oder der Bundesliga in Deutschland. Ich selbst habe nie einen Fussballberater oder Manager gehabt. Vielleicht ist auch aus diesem Grund der eine oder andere Transfer nicht zustande gekommen. Loyalität ist für mich auch ein wichtiges Wort, obwohl es heute fast schon antiquiert klingt. Schon mit sieben Jahren trug ich stolz das Trikot des FC Basel. Ich wollte immer Fussball in Basel spielen, in dem Stadion und mit den Zuschauern. Das fand ich grossartig. Jetzt hat sich aber auch aus taktischer Sicht und hinsichtlich der Spielsysteme viel verändert.
In den Achtzigerjahren haben Fussballmannschaften noch mit Libero, Vorstopper und Manndeckung gespielt. Der moderne Fussball mit seinen Ketten und der Raumdeckung war in Amsterdam und in Barcelona Thema, aber meist noch nicht in der Schweiz oder Deutschland.
Da hat sich verdammt viel verändert. Ich durfte beispielsweise noch den Rückpass zum Goalie einsetzen. Wenn man, wie ich, sehr nah über Jahrzehnte am Geschehen dabei ist, denkt man oft, dass Fussball ohne Frage immer schneller und intensiver geworden ist. Die Brüche gerade im taktischen Bereich realisiert man aber oft nur mit einem gewissen Abstand. Wenn Du noch voll im Spielbetrieb als Spieler Leistung zeigen musst, setzt Du die Anweisungen vom Trainerstab um und überlegst nicht lange. Du musst hier funktionieren, sonst bist du schnell raus. Reflexives Verhalten ist hier ein Fremdwort.
Dann, nach Ihrem Karriereende im Profifussball, haben Sie sich nach einigen Zwischenstationen um den Nachwuchs gekümmert. Sie waren technischer Leiter der Nachwuchsabteilung des FC Basel. Auch hier geht es heute sehr viel intensiver und professioneller zu. Junge Spieler werden nicht zufällig auf dem Bolzplatz entdeckt, sondern es gibt eine Scout-Abteilung, vielleicht sogar ein Fussballinternat. Auf jeden Fall gibt es in der Region Ausbildungsvereine. Beim FC Basel war und ist es beispielsweise der FC Concordia Basel. Wie ist die Nachwuchsarbeit aus Ihrer Sicht heute aufgestellt?
Ein talentierter junger Spieler wird heute viel schneller erkannt. Der zentrale Grund ist das von Ihnen angesprochene Scoutingsystem. Junge Spieler sind viel schneller in strukturierten Systemen integriert. Das betrifft alle Bereiche, sprich mentale Stärke, körperliche Fitness oder taktische Fussballfragen. Der Fokus bei all diesen Spielern ist darauf ausgerichtet, Profifussballer zu werden.
Was aber schon statistisch nicht möglich ist. Da gibt es sicher Frustrationen?
Bis zu einem gewissen Punkt ist es richtig, ehrgeizig zu sein und sich Ziele zu setzen. Aber 90 Prozent dieser Jugendlichen, selbst wenn sie hoch talentiert sind werden nicht mit Fussball Geld verdienen können. Daher ist ein Plan B in Form einer Ausbildung in einem anderen Bereich in jeder Phase mitzudenken. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt
lässt sich mit dem Stichwort «Ungeduld» beschreiben. Spieler, das familiäre Umfeld, Freundinnen und Freunde und die Verantwortlichen im Verein – alle sind ungeduldig.
Aus welchen Gründen?
Es gibt einen einfachen Grund. Ein junger Spieler ist preiswert, er kann aber perspektivisch sehr viel Geld generieren. Fussball ist Business. Die Vereine wollen wenig Geld ausgeben, aber sehr viel Geld verdienen. Ein junger Spieler mit sehr guten natürlichen Begabungen, aber einer noch unausgereiften Persönlichkeit wird heute schnell in eine Position gehoben,
aus der man ihn schnell für viel Geld verkaufen kann. Auch hier sind Frustrationserfahrungen angelegt. Das sind gefährliche Entwicklungen und ich habe auch in Basel dazu immer eine klare Meinung vertreten. Mir ist es egal, ob ein Spieler mit 18 oder erst mit 21 Jahren sein erstes Profispiel absolviert. Er muss parat sein und ein Fähigkeitspaket dabeihaben, um den Belastungen standzuhalten und dann 15 oder 20 Jahre eine Profikarriere hinzulegen. Ich habe den Eindruck, dass die Ungeduld mit Spielern, die 17 oder 18 Jahre alt sind, sehr hoch ist – und mit 23 oder 24 Jahren kommt dann oft die Ernüchterung und der sportliche Einbruch. Sie haben diese komplexe Belastungspunkte nicht ausgehalten und knicken dann an einem Punkt ein.
Könnte man sagen, es werden heute mehr Spieler verbrannt?
Genau. Das bringt es auf den Punkt.
Jetzt gibt es ja auch unter den Profivereinen sehr unterschiedliche Strategien, um mit dem Thema Nachwuchs umzugehen. Einige Vereine, vor allem die mit ökonomischer Potenz, leisten sich zwar ein Nachwuchszentrum, der eigene Nachwuchs bekommt aber kaum Chancen, in den Profikader zu kommen. Wenige andere Vereine, ich nenne jetzt mal den SC Freiburg, sind da anders aufgestellt. Jedes Jahr landen zwei, drei junge Spieler im Profikader und bekommen dort auch Einsatzmöglichkeiten. Wie ist Ihre Sicht der Dinge?
Freiburg ist fast ein Ausnahmebeispiel in diesem Profisport, so wie er aktuell aufgestellt ist. Der SC hat sich die Philosophie Ausbildungsverein auf die Fahnen geschrieben. Dort tragen junge Spieler nicht nur das Trikot mit der Nummer 22 oder 32. Man bereitet sie von Anfang an auf den Profieinsatz vor. Das ganze Umfeld, der Trainerstab so oder so, gibt diesem
Projekt eine enorme Wichtigkeit. Man geht mit dem Spieler sehr viel einfühlsamer und subtiler um. Man weiss, wir könnten auf ihn angewiesen sein. Wir müssen mit ihm arbeiten. In anderen Vereinen setzt der Trainerstab auf scheinbar einfachere Lösungen. Er hat noch genügend andere Profis im Kader und wenn nicht, wird schnell einer dazugekauft.
Es ist auf den ersten Blick einfacher, einen fertigen Spieler mit 25 Jahren zu holen und die Jugend in der Warteschleife zu lassen. Der SC Freiburg zeigt aber, dass wenn man sich mit dem Nachwuchs wirklich beschäftigt und das als langfristiges Projekt begreift, man auch in der Bundesliga Erfolg haben kann. Wer sich damit nur halbbatzig auseinandersetzt, überlässt hier zu viel dem Zufall.
Ich denke, die Langfristigkeit und das ruhige Handeln mit einer klaren Philosophie ist das Erfolgsgeheimnis beim SC Freiburg. Das Gegenteil erlebt man beispielsweise in Stuttgart. Jahrelang setzte man auf gestandene Spieler, die immer schneller rotierten. Das Trainer-Karussell beim VfB Stuttgart drehte sich auch immer schneller. Der Verein hat eigentlich, von seinem Umfeld her, viel mehr Geld zur Verfügung. Die hektischen Aktionen dominieren aber das Geschehen. Aktuell hat man sehr schnell im Rahmen einer Panikaktion die halbe Jugendmannschaft auf dem Platz stehen, die mit einigen Spielern aus der zweiten französischen Liga verstärkt wird. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Dagegen ist in Freiburg selbst beim Trainerstab das Thema Nachwuchs prominent besetzt. Es gibt einen Verbindungscoach zwischen Jugendarbeit und Profimannschaft. Christian Streich ist nur ein Baustein des Erfolgs. Julian Schuster, der den Job des Verbindungscoachs innehat, ist mindestens genauso wichtig.
Wie sieht das Thema Nachwuchs in Basel aus? Läuft es da wie in Stuttgart oder wie in Freiburg?
Typisch für die Schweiz würde ich sagen: Irgendwo dazwischen. Der FCB ist eigentlich auch ein Ausbildungsverein. Er konnte und kann viele Spieler, die hier aus der Region kommen, ins Ausland verkaufen. Das verdeutlicht, dass man eine gute Jugendarbeit betreibt. Das geht auch von der Spitze aus. So hat die frühere Präsidentin Gisela Oeri dies wiederholt verdeutlicht. Sie hat dazu ja auch eine Stiftung gegründet, die der Nachwuchsabteilung des Vereins zwischen zweieinhalb und drei Millionen Schweizer Franken zukommen lässt. Jetzt ist immer die Frage, wie die aktuelle Führung die Jugendarbeit bewertet und umsetzt. Man braucht eine gewisse Durchlässigkeit, um auch glaubwürdig arbeiten zu können. Man muss der Jugend auch eine realistische Perspektive geben. Der Nachwuchs strengt sich doch an und will dann wenigstens in Teilen auch belohnt werden. Jugend braucht Motivation. Im Moment habe ich den Eindruck, man weiss beim FC Basel noch nicht, welchen Weg man gehen will.
Oftmals habe ich auch den Eindruck, unterschiedliche Fraktionen im Verein behindern sich gegenseitig und liefern sich Diadochenkämpfe.
Man muss bereit sein, Kompromisse zu schliessen, ohne an Qualität zu verlieren. Das hört sich theoretisch sehr gut an, ist aber in der Praxis schwer umsetzbar. Der FC Basel hat eine gute Tradition in der Nachwuchsarbeit. Die Akademie ist da und die Millionen von Gisela Oeri sind da. Das reicht aber nicht aus. Aktuell will die Leitung global aufgestellt sein, was die Spieler betrifft. Man bedient sich an der globalen Fussballwelt. Ich sage nicht, dass dies nicht interessant und erfolgreich sein kann. Aber die Frage ist, wo und wie es kompatibel mit dem Ausbildungsverein FC Basel ist. Es ist durchaus kompatibel.
Man muss dann aber auch diese beiden Stränge zusammenbringen und umsetzen.
Das Modell Schwarz-Weiss funktioniert nicht.
Kommen wir noch zu einem ungewöhnlichen Punkt: Sie waren auch sportlicher Leiter des Indien-Projektes FC Basel – Chennai City FC. Südindien und Fussball bekomme ich aber überhaupt nicht zusammen. Kricket fällt mir als Sportart ein. Wie kam es dazu?
Indien ist ohne Frage ein Fussballentwicklungsland. Aber genau aus diesem Grund kann es reizvoll sein, hier aktiv zu werden. Bernhard Burgener als ehemaliger Präsident hat hier eine Chance gesehen. Ich war von der Zusammenarbeit überzeugt, als ich das Potenzial gesehen habe. Es gibt da eine Jugend, die Fussballshirts von Juve, Real oder den grossen englischen Clubs trägt – und zwar in einem grösseren Umfang als hier. Sie haben einen Traum vom Fussballprofi. Die indische Bevölkerung ist jung und will Fussball spielen. Das war und ist mein Eindruck. Einige wenige können es in den nächsten Jahren mithilfe einer professionellen Ausbildung nach Europa schaffen. Grundlage und Leuchtturm ist die Akademie des Chennai City FC. Der indische Fussball ist im Dornröschenschlaf und genau daher muss er wachgeküsst werden. Leider hat man das Projekt abgeben müssen, da es mit Bernhard Burgener verbunden war.
Solche Situationen kennt man aus der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Ja, dann ist uns auch noch die Pandemie in die Quere gekommen. Auch daher ist das Projekt ins Stocken gekommen. Ich gebe aber das Projekt nicht auf. Die letzten drei Jahre war ich in Südindien und habe viele menschliche Erfahrungen gemacht. Jetzt arbeite ich an einem Projekt, um eine vom Vereinsfussball unabhängige Fussballschule aufzumachen. Dafür braucht es Investoren. Und diese suche ich gerade. Es braucht eine Gesamtfinanzierung für die nächsten vier, fünf Jahre mit einem klaren Plan und einer Strategie. Ich freue mich schon wieder, nach Indien zurückzukehren und jungen Spielern aus Indien eine Karriere in Europa zu ermöglichen.
Jetzt kam es doch noch zur Abnabelung des Massimo Ceccaroni vom FC Basel. Wir vom «Geschäftsführer» Basel wünschen ihm viel Erfolg mit dem Projekt in Südindien.