Endress + Hauser ist ein führender Hersteller von Mess- und Automatisierungstechnik für industrielle Prozesse. Mit weltweit 16’000 Beschäftigten erzielte das Unternehmen 2022 rund 3.4 Milliarden Franken Umsatz. Reinach ist der Sitz der Dachgesellschaft, des Schweizer Sales Centers und einer Einheit, die das internationale Vertriebsnetz ausbaut. Hier entwickelt Endress + Hauser Lösungen für die Industrie 4.0 und fertigt Durchflussmesstechnik – die grösste Aktivität am Standort.
Dr. h. c. Klaus Endress (Jahrgang 1948) hat ein Studium als Diplom-Wirtschaftsingenieur an der Technischen Universität Berlin absolviert. Er trat 1979 ins väterliche Unternehmen ein und übernahm 1995 die Leitung der Firmengruppe. 2014 wechselte er als Präsident in den Verwaltungsrat. Klaus Endress ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder. Wann immer möglich, zieht es den passionierten Reiter und Mountainbiker in die Natur, häufig begleitet von Hündin Maya.
Geschäftsführer*in Basel: Endress + Hauser wächst auch im Jubiläumsjahr stark. Warum konnten die Krisen der letzten Jahre mit all ihren Folgen – unterbrochene Liefer- und Logistikketten, drohender Energiemangel, Sanktionen, hohe Inflation, steigende Leitzinsen – dem Unternehmen nichts anhaben?
Klaus Endress: Wir sind nicht unverwundbar. Als in der Weltwirtschaftskrise 2009 alle Branchen und Regionen gleichzeitig auf Talfahrt gegangen sind, haben wir das ebenfalls gespürt. Aber wir tun schon sehr lange sehr viel dafür, dass unser Unternehmen möglichst widerstandsfähig gegen äussere Einflüsse ist.
… zum Beispiel?
Endress+Hauser ist weltweit tätig, bedient Kundinnen und Kunden in ganz unterschiedlichen Branchen und verfügt über ein sehr umfassendes Angebot. Fällt ein Bereich aus, wird versucht, diesen mit einem anderen auszugleichen – dazu entwickeln wir das Unternehmen ständig weiter. 2009 zum Beispiel ging alles nach unten, nur Biotechnologie und Life Sciences haben geboomt. Wir hatten aber damals praktisch keine passenden Produkte, also haben wir uns gezielt auf diese Branche ausgerichtet. Das hat sich dann in der Corona-Pandemie bewährt. Weil wir mit unseren Lieferanten und Logistikpartnern langjährige Beziehungen pflegen, konnten wir auch immer liefern – anders als viele Wettbewerber.
Worin sehen Sie die Stärken eines Familienunternehmens?
In einem Familienunternehmen denkt man immer in Generationen. Das beeinflusst die Kultur grundlegend – wie man Kundenbeziehungen aufbaut, das Geschäft betreibt, mit den Menschen umgeht. Wir zeigen Verantwortung, auch gegenüber Umwelt und Gesellschaft, denn wir streben als Familienunternehmen den langfristigen Erfolg an. Der Gewinn bleibt grösstenteils im Unternehmen, das damit arbeiten und sich weiterentwickeln kann. Kapital nützt allen – Geld nur jenen, die es besitzen!
Sie haben über 60 Millionen Franken in den neuen Reinacher Campus investiert, ein klares Bekenntnis zum Standort. Die Zahl der Mitarbeitenden ist hier in zehn Jahren um fast die Hälfte auf über 2 100 gestiegen. Wie gehen Sie mit dieser Verantwortung um?
«Mensch sein heisst, Verantwortung zu tragen.» Dieser Satz von Antoine de Saint-Exupéry hat mich ein Leben lang begleitet. Sichere und gute Arbeitsplätze sind ein Teil dieser Verantwortung. Ein bestes Jahr nach unserer Definition haben wir nur dann, wenn wir neben Auftragseingang, Umsatz und Gewinn auch die Beschäftigung steigern können. Unser starkes Wachstum rund um die Welt hat in den vergangenen Jahren auch in Reinach viele Arbeitsplätze entstehen lassen. Solange wir die nötigen Fachkräfte finden, werden wir hier weiter wachsen.
Der Neubau hat ein nachhaltiges Energiekonzept. Auf dem Dach ist eine grosse Photovoltaikanlage installiert und dort leben zwei Bienenvölker. Welche Nachhaltigkeitsstrategie trägt Ihr Unternehmen in die Zukunft?
Ganzheitliche Verantwortung ist ein zentraler Wert bei Endress + Hauser. Wir achten schon lange darauf, die Umwelt zu schützen und die Ressourcen zu schonen. Das «Sternenhof»-Gebäude, in dem ich meinen Schreibtisch habe, war eines der ersten Bürogebäude in der Schweiz nach Minergie-Standard. Und die neue Produktion für Durchflussmesstechnik ist im Betrieb sogar klimaneutral. Als Firmengruppe möchten wir bis 2050 unsere Emissionen auf netto-null senken. Das wird nicht einfach werden, weil ein Grossteil unseres CO2-Fussabdrucks von eingekauftem Stahl und anderen Materialien herrührt. Aber wir sind zuversichtlich, dass in einigen Jahren genügend grüner Stahl verfügbar sein wird. Wir arbeiten selbst an solchen Pilotprojekten mit. Unsere Messtechnik hilft mit, die globalen Klimaziele zu erreichen und innovative Lösungen zu finden. Deshalb haben wir Ende Juni nicht nur mit 5 500 Mitarbeitenden aus der Regio unseren 70. Geburtstag gefeiert, sondern in den Tagen davor auch mit über 800 Kunden über die nachhaltige Transformation der Industrie diskutiert.
Der Neubau bietet auch viel Raum für die Ausbildung mit Werkstätten, Labors, Schulungsräumen und Lernbereichen. Ist das Teil der kürzlich lancierten Ausbildungsoffensive?
Wir haben schon immer viel in die Aus- und Weiterbildung investiert. Unser Ziel war, dass alle, die bei Endress + Hauser arbeiten, ihre Kinder jederzeit zu uns in die Lehre schicken würden. Und natürlich soll es den jungen Menschen Freude machen, zu uns zu kommen. Mit unserer Initiative möchten wir bis 2027 die Ausbildungsquote verdoppeln. Fünf Prozent der Stellen weltweit sollen für Praktikanten, Auszubildende, Trainees und Studenten reserviert sein. Dafür haben wir angefangen, das Modell der beruflichen Ausbildung, wie wir es in der Schweiz schon lange kennen, zu exportieren – nach Indien, in die USA oder nach Mexiko. Und wir schaffen überall, auch bei uns, neue Angebote.
Was würden Sie mit Ihrer Erfahrung jungen Einsteigenden in die Arbeitswelt mit auf den Weg geben?
Dass sie sich für diese Arbeitswelt möglichst gut rüsten, egal, ob sie eine Ausbildung machen oder ein Studium. Geld und Besitz kann man verlieren – aber das Wissen und die Fertigkeiten, die man sich aneignet, kann einem niemand nehmen. Und sie sollten, wenn sie die Möglichkeit haben, Erfahrung im Ausland sammeln. Das geht in jungen Jahren am besten – und es weitet den Blick ungemein!
Sie haben sich als Patron einer erfolgreichen Firmengruppe die Zeit genommen, sich als Lokalpolitiker zu engagieren. Hat sich der Einsatz als Einwohnerrat und später Gemeinderat von Reinach gelohnt?
Um ganz ehrlich zu sein: In der Politik bewegt man mit viel Energie nur wenig. Aber der Einsatz für die Allgemeinheit, auch im Unirat, war mir immer wichtig. Es hat mir ein gutes Gefühl gegeben, Dinge zum Positiven zu bewegen. Wir konnten etwa mit bescheidenen Mitteln eine Notstromversorgung für das Wassernetz beschaffen. Das gibt 60’000 Menschen im Birstal Versorgungssicherheit.
Zum Jahresende verlassen Sie den Verwaltungsrat. Ihre Nichte Sandra Genge und Ihr Neffe Steven Endress werden die Familie künftig dort vertreten. Mit welchem Gefühl gehen Sie – und was wünschen Sie sich für die jüngere Generation?
Sobald die Nachfolge gut geregelt war, hatte ich keine Probleme mit dem Loslassen. Und wir haben sowohl im Unternehmen als auch in der Familie alles vorbildlich geregelt. Künftig führen Matthias Altendorf als Verwaltungsratspräsident und Dr. Peter Selders als CEO die Firmengruppe. Beide verkörpern unsere Kultur durch und durch und haben das volle Vertrauen der Gesellschafter. Die Familie wird weiter eine aktive Rolle spielen. Sandra und Steven vertreten unsere Interessen im Verwaltungsrat. Zusammen mit meiner Tochter Sarah – sie ist Präsidentin der Georg H. Endress Stiftung – werden alle drei als Ambassadore, als Botschafter, präsent sein. Ich selbst bleibe Vorsitzender des Familienrates. Meine Aufgabe wird, wie seit 20 Jahren, darin bestehen, für Zusammenhalt zu sorgen. Die Grundlage dafür bildet unsere Familiencharta. Sie führt auch die Jungen ans Unternehmen heran. Was mich freut: In der jüngeren Generation gibt es viel Interesse an einer Mitarbeit. Vielleicht wird sich ja eines Tages wieder eine oder ein Endress auf den Weg an die Spitze unseres Unternehmens machen!