Das Schnitzelbankwesen ist eine der tragenden Säulen des dreitägigen Ausnahmezustands in Basel und für das Publikum sowie die Akteure eine pure fasnächtliche Leidenschaft.
Wenn um vier Uhr früh mit dem Morgenstreich die Basler Fasnacht beginnt, schlagen Jahr für Jahr zahlreiche Herzen höher. Das närrische Treiben, sei es als Tambour, Piccolo-Spieler, im Comité oder als Mitglied einer Wagenclique, ist nicht nur ein wesentlicher Faktor des touristischen Stadtmarketings, sondern eine tief verwurzelte und nicht wegzudenkende Tradition für Basel. Die «drei scheenschte Dääg» ohne den Schnitzelbangg? Unvorstellbar!
Ausnahmezustand in der Stadt am Rheinknie
Wer den Puls der Stadt Basel fühlen möchte, kommt an der Fasnacht nicht vorbei. Weit über die Agglomeration Basels hinaus pilgert laut Statistik rund ein Viertel der gesamten Besucherzahl aus der übrigen Schweiz und dem Ausland, um dieses einzigartige Spektakel zu erleben. Geboten wird allerhand: 20’000 aktive Fasnächtler sind während dreier Tage musizierend unterwegs. Und mit hingebungsvoller Begeisterung folgt eine eingeschworene Fan-Gemeinde den «Bängglern» am Montag- und Mittwochabend durch die vorgeschriebenen Routen des Schnitzelbank Comités – am Dienstagabend sind die Bänke dann frei.
Nebst zahlreichen Restaurants gehören zu den Auftrittslokalen verschiedene Bühnen, wie etwa das Stadttheater (Grosse Bühne) und das Schauspielhaus. Beliebt sind auch die Filmaufnahmen der Auftritte im Schauspielhaus, welche über die Website des Schnitzelbank-Comités und über die lokalen Fernsehsender genossen werden können. Der krönende Abschluss der «Bänggler» findet am Samstagabend nach der Fasnacht mit dem «Schlussoobe» im Stadttheater und im Schauspielhaus statt, wo die aktiven Schnitzelbänkler*innen nochmals ihre besten Verse singen. Diese werden vom Comité, zusammengesetzt aus dem Obmaa Edi Etter und seinem 14-köpfigen Team, nach Herz und Nieren geprüft, um nach der Fasnacht eine Subvention festzulegen. Die Grundlagen der Bewertung sind in erster Linie die Qualität der Verse, ebenso der Vortrag selbst sowie Kostüm und Helge.
Basler Fasnachtsbrauch mit 101-jähriger Geschichte
Wer sich für die mittlerweile über hundertjährige Historie des Schnitzelbankwesens interessiert, kann sich im Internet in zahlreichen schriftlichen Dokumenten verlieren, denn seit seiner Gründung im Jahr 1921 archiviert das Basler Schnitzelbank-Comité ihre sämtlichen Schnitzelbängge und stellt diese online. Es wurden die Ärmel hochgekrempelt, Dokumente digitalisiert und die Retrospektive der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Archiv beinhaltet stolze 3000 «Zeedel» mit 50’000 Versen, zahlreiche Bilddokumente und über 200 Stunden Ton- und Filmaufnahmen.
Hinzu kommen die amüsanten Rückblicke der Ton- und Filmaufnahmen vom Schweizer Radio und Fernsehen, die bis in die 1940er-Jahre zurückreichen.
Die Wurzeln des «Schnitzelbanggs»
Der frühe Ursprung des «Schnitzelbanggs» offenbart sich auf zwei Wegen: Da war zum einen das alte Bänkelsängertum, welches als Moritatensängerei noch das ganze 19. Jahrhundert hindurch eine bedeutende Rolle spielte, und zum anderen das vom 16. bis 18. Jahrhundert blühende Schmähschriften- und Flugblattwesen. Seit ungefähr 160 Jahren existiert der Basler «Schnitzelbangg», wie wir ihn heute kennen. Nätürlich gab es damals Abweichungen zum heutigen Geschehen, so spielte sich die Fasnacht bis in die 1950er-Jahre noch dezentral in den Basler Aussenquartieren ab. Auch waren die Formationen oftmals bereits nachmittags gegen vier Uhr unterwegs und klopften eine Route mit über 100 Restaurants ab. Demgegenüber rechnet man heutzutage, je nach Gesellschaft, mit etwa zwölf bis 20 Auftritten pro Abend, Stauzeiten vor den Lokalen inklusive.
Übrigens waren die Bänkelsänger*innen vor 100 und mehr Jahren nicht vordergründig lustig. Sie erzählten eher Schauergeschichten von Katastrophen wie dem tragischen Erdbeben in Basel von 1356 oder dem Hochwasser der Frenke in Hölstein von 1830.
Früher war alles besser? Eher nicht!
Es ist zur heutigen Zeit nur schwerlich nachvollziehbar, aber beim Recherchieren wird einem schnell klar, dass bis Anfang der 1970er-Jahre sämtliche Texte den Behörden zur Zensur vorgelegt werden mussten. Zu beanstanden gab es offenbar vieles, denn nicht wenige der alten «Zeedel» trugen geschwärzte Stellen oder die Bezeichnung «Gift». Unerwünschte Passagen wurden rigoros übermalt oder überschrieben. In den 1930er-Jahren waren die Schnitzelbank-Kontrollen ein grosses Thema und tauchten sogar in den Polizeiberichten auf. Der Höhepunkt der Zensur fand während der Jahre 1940 bis 1945 statt – der Regierungsrat verhängte ein generelles Verbot für das Singen von Schnitzelbänken, da man den Unmut der deutschen Nachbarn über die Spottverse der Basler fürchtete. Das Schlagwort «Schwoobe» wurde des Öfteren in die Pointen gepackt und reizte zu diesen schweren Zeiten die empfindlichen Gemüter.
Die «Zircher» bekamen auch kräftig ihr Fett weg, scheinen dies aber mit mehr Humor weggesteckt zu haben. Die «Zeedel» bewegten sich in vergangenen Zeiten manchmal gefährlich nahe unter der Gürtellinie – oder touchierten die Grenze des politisch Korrekten. Doch damals wie heute bezaubern sie durch ihren Wohlklang, ihre Verschmitztheit, die originellen Binnenreime und verblüffenden Pointen. Die «Schnitzelbängg» gehören genauso zur Basler Fasnacht, wie Kerzen auf einer Torte für erhellende Momente sorgen.
Good old Seventies
Die 1970er-Jahre gelten für viele Enthusiasten der Basler Fasnacht als Höhepunkt des Schnitzelbankwesen. In dieser Epoche glänzten die grandiosen Vierzeiler der «Standpauke» und des «Stachelbeeri», das «Angge-Bliemli» mit seinem legendären «Drämmli» und die wunderbaren Binnenreime der «Schellede». Besonders hervorzuheben sind die spitzen Pointen der «Zytigs-Anni», die mit ihren politisch-kritischen Versen in der «Schnitzelbanggszene» der 1970er-Jahre eine Sonderstellung einnahm.
Nach fünf Jahrzehnten ist der Zeitgeist selbstverständlich ein anderer und wer heute einen Schnitzelbangg von damals geniessen möchte, sollte dies durch einem Nostalgiefilter tun. Zum Beispiel, wenn das legendäre «Stachelbeeri» den ersten dunkelhäutigen Fussballer in einer Schweizer A-Mannschaft – den Peruaner Teófilo Cubilias, der 1973 das FCB-Leibchen trug – als «Negerli» bezeichnet. Da kann per se schon die Frage auftauchen, ob man leise, etwas lauter oder gar nicht über diesen Vers lachen darf – oder sich eher dafür schämen sollte.
Doch nichtsdestotrotz ist unbestritten, dass die «Bänggler» vor 50 Jahren «Schnitzelbangg»-Geschichte geschrieben haben und das Publikum mit hoher Originalität im Versaufbau und überraschenden Pointen zu begeistern wusste.
Kaum zu glauben, aber wahr
Im Februar 2015 kam es zu einem skurril anmutenden Auftritt einer Basler «Schnitzelbangg»: «Die Aabrennte» dozierten einen Lehrauftritt vor Deutschstudierenden am Departement of Germanic Languages & Literatures der altehrwürdigen Harvard University in Cambridge bei Boston (USA).
Auf dem elektronischen Flyer als «Schweizer Karnevals-Satire» angekündigt, war dieser Vortrag der speziellen Art nicht lediglich als Basler «Mimpfeli» für ein paar wenige Heimweh-Basler*innen und -Schweizer*innen gedacht, die es nach Boston verschlagen hat, sondern als Anlass für alle jungen Deutschstudierenden. Das erklärte Ziel war hierbei, den Studierenden mit dem «Schnitzelbangg» einerseits die kulturellen und sprachlichen Eigenheiten des Schweizerdeutschen näherzubringen, andererseits sollte der satirische Umgang mit dem Zeitgeschehen erläutert werden.
Da die Verse auf «Baseldytsch» eine schwere Kost für die Deutschstudierenden an der Harvard University waren, haben sich «die Aabrennte» die Mühe gemacht, die «Zeedel» auf Hochdeutsch zu übersetzen – und sie in dieser ungewohnten Form auch noch zu singen!
Hochkarätige «Schnitzelbangg»-Gegenwart
Diverse Basler Restaurants organisieren regelrechte Schnitzelbank-Galas. Ob einem nun eine solche, meist Monate im Voraus ausgebuchte Schnitzelbank-Soirée mit Menü und Brimborium zusagt oder die Stimmung in den zahlreichen Cliquenkellern viel besser gefällt – Tatsache ist, dass üble Nachrede, Verleumdung und Beschimpfungen schon lange verboten sind. Verletzende Scherze über religiös Andersdenkende, behinderte Mitmenschen oder verstorbene Personen sind an der Fasnacht tabu. Das kritische zeitgenössische Publikum erwartet von den erfahrenen Schnitzelbänklern spitze Pointen aus absurden Blickwinkeln, die den verdient betroffenen Zielpersonen subtil «d Kuttle butze».
Stellvertretend für viele gute zeitgenössische «Bängg», hier eine kleine Aufzählung: der wunderbare Marathonvärs des «Singvogel», «Doggter FMH», «Spitzbueb», «Frächdaggs», «Nonnkonform», «Tam Tam», «D Rätschbääse» oder die «Strossewischer» – alle auch unbedingt Wert, diese zu streamen.
Erfreulicher Blick in die nahe Zukunft
Nachdem Basel zweimal eine «Nicht-Fasnacht» durchmachen musste, laufen die Vorbereitungen für die Fasnacht 2023 auf Hochtouren und das Fasnachts-Comité geht davon aus, dass es keine aussergewöhnlichen Einschränkungen geben wird. Gerechnet wird mit einer Sujetfasnacht, wie sie wegen der Corona-Krise letztmals 2019 stattgefunden hat. Der «Morgestraich» als Auftakt zur Fasnacht findet am 27. Februar 2023 statt.
Die Schnitzelbänkler sind eine gelungene Facette der Basler Fasnacht, ein wunderbarer Traditionsanlass voller künstlerischer Elemente, Mystik und Humor.
«E scheeni Faasnacht!»