Unterwegs mit der Mercedes-Benz Pagode

von Sabrina Jauslin

Der 230 SL, auch «Pagode» genannt. Foto: Art Konovalov

Als Mercedes-Benz 1963 das von Paul Bracq in zeitlos-eleganten Linien gezeichnete Cabrio 230 SL vorstellte, zeigten sich viele Betrachter zunächst skeptisch. Der 230 SL trat die Nachfolge gleich zweier Daimler-Sportler an – zum einen die des in erster Linie als Damen-Sportwagen angesehenen 190 SL und natürlich des legendären «Gullwing» 300 SL. Konnte er vor allem Letzterem das Wasser reichen, war das noch ein echter Sportwagen?

All diesen Zweiflern nahm Eugen Böhringer gleich im ersten Jahr mit seinem legendären Sieg bei der berüchtigten Fernfahrt Lüttich–Sofia–Lüttich gründlich den Wind aus den Segeln – die «Pagode» hatte ihre Feuertaufe mit Bravour bestanden. Den Spitznamen Pagode erhielt das Fahrzeug übrigens dank des nach innen gewölbten Hardtop-Dachs, das den Einstieg erleichtern sollte – und das in der Tat und mit viel Fantasie an einen japanischen Tempel denken lässt.

Die Pagode wurde während ihrer achtjährigen Bauzeit mit immer grösseren Motorenanalog den Mercedes-Benz-Limousinen – und mit Luxus-Features wie Servolenkung und Automatik ausgestattet, aber das Herz der echten Pagoden-Fans schlägt natürlich für die Urversion. Und das hat seinen Grund, wie wir gleich erfahren werden.

Eleganz mit Sportlerherz
Da steht die Pagode also vor uns – ein Design-Meilenstein –, die im Gegensatz zu ihren Vorgängern mit ihrem modischen 50er-Jahre-Appeal auch heute noch zeitlos-elegant wirkt. Chapeau, Paul Bracq! Besonders in Weiss mit rotem – natürlich heute schön patiniertem Leder – ein ästhetischer Hochgenuss. Wenn man einsteigt, fühlt man sich sofort zu Hause. Mercedes-typisch sitzt alles am richtigen Ort, man sitzt auf äusserst kommodem Gestühl und die Hand fällt wie von selbst auf den weissen Knauf der – logisch! – Handschaltung. Ein Dreh am Zündschlüssel, und die 150 Pferde aus 2,3 Litern Hubraum melden sich sonor grollend zu Wort.

Beim Fahren spürt man dann, warum diese Ur-Pagode so begehrt ist: Dieser Sechszylinder ist ein echter «Sportsmann», will gedreht werden und entwickelt dabei eine begeisternde, aber niemals vulgäre Geräuschkulisse. Eine Spitzengeschwindigkeit von 200 km/h kombiniert mit einem brauchbaren Kofferraum – das war 1963 eine echte Ansage und beeindruckt noch heute.

Idealer Kompromiss
Beim Handling wird deutlich, dass der 230 SL doch um einiges leichter ist als seine Nachfolger. Was man aber nicht missverstehen sollte: Dieses Auto ist kein gieriger Kurvenräuber, sondern ein idealer Kompromiss zwischen Sportlichkeit, Komfort und Mercedes-typischen Sicherheitsmerkmalen. Kein Wunder also, dass man sich nach einer Ausfahrt schwertut, das Fahrzeug wieder zurückgeben zu müssen.

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