Der ehemalige Basler Kantons- und Stadtentwickler Thomas Kessler ist von der baselstädtischen FDP als Kandidat für die Nationalratswahlen am 20. Oktober 2019 nominiert worden. Für viele war es eine Überraschung, dass der gelernte Landwirt und studierte Agronom, der einstmals – vor 30 Jahren für die Grüne Partei im Zürcher Kantonsrat politisierte, als Freisinniger wieder in die politische Arena steigt. Wer allerdings seine Arbeit über die Jahre verfolgte, dem konnte seine urliberale Haltung in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen nicht entgangen sein.
Weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde Thomas Kessler von 1991 bis 1998 als Drogendelegierter und Leiter der Drogenabteilung Basel-Stadt sowie von 1996 bis 2014 als Mitglied der Eidgenössischen Expertenkommission für Drogenfragen, als er wegweisende Akzente für eine liberale Drogenpolitik setzte.
Von 1998 bis 2008 leitete Thomas Kessler im Basler Sicherheitsdepartement die kantonale Stelle für Integration und Anti-Diskriminierung. Als Integrationsbeauftragter entwickelte er Strategien, die später auf nationaler Ebene übernommen wurden und die Schweizer Politik bis heute mitprägen. Von 2008 bis 2016 nahm Thomas Kessler Einsitz in die Eidgenössische Kommission Kinder und Jugend. Ab 2009 führte er im neu geschaffenen Basler Präsidialamt die Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung, welche die vier Fachstellen Wohnraumförderung, Stadtteilentwicklung, Grundlagen und Strategien sowie Diversität und Integration umfasste. 2016 übernahm Thomas Kessler zusätzlich die Leitung der Task Force Radikalisierung BS / BL.
Dann der grosse Knall Anfang 2017: Der abtretende Vorsteher des Präsidialdepartements, und damit Vorgesetzter von Thomas Kessler, Guy Morin, liess mitteilen, dass er «zusammen mit seinem langjährigen Chefbeamten Thomas Kessler zum Schluss gekommen ist, dass der Wechsel an der Departementsspitze der richtige Zeitpunkt ist, das Präsidialdepartement gemeinsam zu verlassen».
Die «einvernehmliche» Verabschiedung von Thomas Kessler wurde von den Medien schnell als «Abschiedsgeschenk» an die unerfahrene Nachfolgerin im Amt eingeschätzt. Vor allem wurde vermutet, dass Guy Morin verhindern wollte, dass sie sich mit dem messerscharfen Intellekt des geschassten Chefbeamten hätte auseinandersetzen müssen – beziehungsweise, von ihm hätte profitieren können. Ebenfalls kaum widersprochen wurde der Version, dass sich Guy Morin bei Thomas Kessler für dessen Art, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen, revanchierte. Jedenfalls herrschte nach diesem Eklat in Basel allgemeines Kopfschütteln über den nicht nachvollziehbaren Entscheid. Insbesondere, dass es sich Basel leisten kann, einen derart brillanten Kopf wie Thomas Kessler in die Wüste zu schicken.
Wie zu erwarten war, ist Thomas Kessler nicht in der Wüste gelandet, sondern hat sich, wie er im Interview mit dem «Geschäftsführer» erklärt – neben seinen politischen Ambitionen, als Projektentwickler und Berater für Institutionen oder Exekutiven im In- und Ausland, etabliert. Er hält zudem als Gastdozent an höheren Fachschulen und Universitäten im In- und Ausland Vorlesungen, ist publizistisch tätig, berät als Verwaltungsrat «Morger Partner Architekten AG» in Basel und hat Einsitz im publizistischen Beirat von «CH Media» sowie der «Fondation CH2048» genommen.
«Geschäftsführer»: Zuerst die Verständnisfrage: Was ist zurzeit die korrekte Berufsbezeichnung, für das, was Sie tun?
Thomas Kessler: (lacht) Gute Frage. Am besten gefallen mir eigentlich die Begriffe «Ermöglicher» oder «Unterstützer». Ich entwickle für Exekutiven, Unternehmen oder Institutionen – oft auch auf unentgeltlicher Basis – vornehmlich in den Bereichen Stadtentwicklung, Migration oder Sicherheit – konkrete Lösungsansätze bei aktuellen Fragen. Dazu gehören etwa das Management des öffentlichen Raums, Zwischennutzungen, Nachtleben, Flüchtlingshilfe, Erhaltung der Biodiversität, Gewaltprävention und Deradikalisierung. Dank meiner jahrzehntelangen Erfahrungen in Politik und Verwaltung und in der Zusammenarbeit mit zahlreichen Institutionen finde ich pragmatische Lösungen auch in schwierigen Themen.
Hat Sie der Verlust des Status als Chefbeamter vor zwei Jahren nicht befreit?
Ich hatte meistens eine gute Zeit mit sehr viel Gestaltungsmöglichkeiten. Allerdings hat sich in den letzten Jahren in der ganzen Politschweiz eine Ängstlichkeit eingeschlichen, die zu Bürokratisierung führt. Jetzt kann ich mich ganz auf die relevanten Themen konzentrieren.
Die da wären?
Das zentrale Thema für mich ist: Wie und in welchem Zustand übergeben wir die Schweiz an die nächsten Generationen? Wie erhalten wir die Innovationskraft, eine solidarische Gesellschaft, Wohlstand, Sicherheit und eine intakte Umwelt? Auf politischer Seite sehe ich die solide Weiterentwicklung unseres Bundesstaates, der 1848 mit der Bundesverfassung die Basis für seine Erfolgsgeschichte legte. Der liberale Geist dieser durch einen revolutionären Akt entstandenen Verfassung gilt es zu bewahren. Fortschrittliche Politik ermöglicht Gesellschaft und Wirtschaft jene Dynamik, die in der heutigen Globalisierung zwingend ist.
Sie waren mal grüner Politiker, jetzt machen Sie für den Freisinn Politik – wo stehen Sie ideologisch?
Ich bin allergisch gegen Ideologien, mich interessiert der realistische, gesamtheitliche Ansatz im Dreieck Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Ökologie ist der Kern meiner Ausbildung, in den 1980ern waren die linken und bürgerlichen Parteien im Kanton Zürich noch vom Kalten Krieg geprägt. Die Grünen ergänzten damals das Themenspektrum. Ich bin aber auch ein Fan von Forschung. Heute setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass die Zukunft unserer Gesellschaften und Industrien auf ökologisch verträglichen Technologien und Prozessen beruhen wird. Wir müssen uns mit Blick auf die nächsten Generationen als Wirtschafts- und Forschungsstandort fit für die Zukunft machen. Dazu gehören neben der Verbesserungen der Standortfaktoren auch neue Lebens- und Arbeitsmodelle. Gerade die Digitalisierung oder Themen wie «Industrie 4.0» und «künstliche Intelligenz» werden Arbeitswelt und Zivilgesellschaft markant verändern – technologisch und sozial.
Ökologie und Technologie schliessen sich nicht aus?
Im Gegenteil – und wir stehen erst am Anfang der Entwicklung. Ich mache ein Beispiel: Heute reden alle von Elektroautos, die in absehbarer Zeit Benzin- und Dieselmotoren ablösen werden. Die Herstellung von Batterien ist aber noch nicht wirklich umweltverträglich, und für die Elektromobilität braucht es neue Infrastrukturen. Gleichzeitig steigt die Effizienz der Solarpanels und Umwandlungsprozesse, sodass mehr Öko-Überschussstrom mit Power to Fuel in Wasserstoff, Gas oder Diesel umgewandelt und in den bestehenden Infrastrukturen eingesetzt werden kann. Die Universität Erlangen in Nürnberg hat dazu die LOHC-Technologie (liquid organic hydrogen carrier) entdeckt, welche kostengünstig die einfache und sichere Speicherung von Wasserstoff ermöglicht, womit ein enormer Schritt in Richtung klimaneutraler Wasserstoffgesellschaft gemacht worden ist. Mit unseren Hochschulen und Start-up-Unternehmen müssen wir in solchen Entwicklungen an die Weltspitze und so über den Export gleichzeitig einen relevanten Beitrag ans Weltklima und zu mehr Wertschöpfung in der Schweiz leisten.